Viele kluge Leute, so der Autor in seinem Vorwort, stünden noch immer „vor vielen Ergebnissen und Entwicklungen, Potenzialen und Problemen der Naturwissenschaften – Stichworte geben die Gentechnik, die Energiewenden, die Quantensprünge und die Digitalisierung – , die ihnen trotz aller Aktualität und Brisanz äusserlich und damit unverstanden bleiben.“ Dieser weit verbreiteten Verständnislosigkeit will dieses ansprechend gestaltete und handliche Werk entgegenwirken – mit Anekdoten und Geschichten.
Da ich selber zu diesen Verständnislosen gehöre, gehe ich die Lektüre hoffnungsfroh an. Und stosse auf vieles, das mich schmunzeln macht. Etwa die Geschichte vom Biophysiker George Feher aus San Diego, der, als er vom Caltech, an dem der Genetiker und Nobelpreisträger Max Delbrück lehrte und dessen Urteil gefürchtet war, zu einem Vortrag eingeladen wurde, so antwortete: Gerne, doch nur unter der Bedingung, zwei Vorträge halten zu können, denn „er wolle zumindest einen Vortrag halten, von dem Delbrück nicht sagen können, dass es der schlechteste Vortrag sei, den er je gehört habe.“ Oder der Kommentar des Physikers Wolfgang Pauli auf den Vortrag eines Kollegen: „… was Sie gesagt haben, war so konfus, dass man gar nicht sagen kann, ob es Unsinn war.“
So amüsant viele der in diesem Band versammelten Anekdoten auch sind, sie gehen, wie gute Anekdoten es so an sich haben, über das rein Anekdotische hinaus und vermitteln Wahrheiten, die die Wissenschaften überaus treffend charakterisieren. So gehört es etwa zur Methode forschender Physiker, besonders verrückten theoretischen Vorschlägen nachzugehen. „Die Vorschläge klingen verschroben genug, an denen könnte tatsächlich etwas dran sein.“
Auch die Geschichten, die Ernst Peter Fischer erzählt, sind höchst anregend und unterhaltsam. Etwas diese hier von seinem Doktorvater Delbrück, der bei der Verleihung des Nobelpreises auf Samuel Beckett zu treffen hoffte, dessen Molloy ihn faszinierte, weil er in den Augen von Delbrück den Wissenschaftler verkörperte. „Nicht er (der Wissenschaftler) stelle der Wahrheit nach, vielmehr stelle die Wahrheit ihm nach. Sie jage ihn, sie treibe ihn auch an den fernsten Stränden dazu, ein kaum praktisches und den meisten Menschen eher fern stehendes Problem zu formulieren und unablässig zu verfolgen, um es nach einer zufriedenstellenden Lösung aufzugeben und sich der nächsten Frage zuzuwenden. Das zu Findende und der Wille zum Verstehen trieben einen Wissenschaftler an …“. Ob Beckett seinen Molloy auch so gesehen hatte, wollte Delbrück von ihm wissen, doch Beckett kam nicht zur Verleihung, er wollte lieber in Tunesien Ferien machen und schrieb ans Nobelkomitee: „Ich komme nicht.“ Ohne Begründung oder Entschuldigung.
Des Autors Wunsch ist es, die Menschen mittels Anekdoten und Geschichten nicht nur auf die Menschen/die Wissenschaftler, sondern auch auf die Wissenschaft neugierig zu machen. Das ist ihm hervorragend gelungen. Selten war mir bewusster, dass Wissenschaftler Realitätserkundler und Wahrheitssucher sind und der Erkenntnisprozess in ständigem Wandel begriffen ist, was unter anderem dieser Dialog zwischen dem Chemiker Walter Nernst und dem Physiker Albert Einstein ganz wunderbar illustriert. Sagt Nernst: „Aber, lieber Herr Einstein, heute sagen Sie das Gegenteil von dem, was Sie beim letzten Treffen gesagt haben.“ Darauf Einstein: Was kann ich denn dafür, dass Gott die Welt anders gemacht hat, als ich vor einigen Wochen noch gemeint habe.“
Apropos Einstein und Gott: Friedrich Dürrenmatt hegte den Verdacht, Einstein habe unter der Hand als Theologe gewirkt, denn kaum ein Nicht-Theologie benutzte den Namen Gottes häufiger. „Einstein vertrat explizit die Idee einer vernünftigen Welt, in der Gott die Gesetze so versteckt hatte, wie es Eltern mit Ostereiern im Garten machen. Und so wie sie ihren Kindern beim Suchen zuschauen, betrachten die Götter wohlwollend und amüsiert ihre Menschenschar beim emsigen Forschen. Kein Wunder, dass Einstein der Meinung war, sich als Wissenschaftler sein Leben lang als Kind zu fühlen. Diese Freiheit nahm er sich. An eine andere glaubte er nicht.“ Viel lebensbejahender geht es eigentlich kaum.
Dass auch Einstein nicht immer Gehör geschenkt wurde, zeigte sich unter anderem darin, dass der Mathematiker Kurt Gödel, der herausgefunden hatte, dass rein logisch Amerika auf legale Weise in eine Diktatur verwandelt werden könnte („was zu Zeiten eines Präsidenten Trump im Jahre 2019 Sorgen bereiten sollte“, wie Ernst Peter Fischer anmerkt), seine Warnung, dies bei der Einbürgerung dem zuständigen Richter gegenüber nicht zu erwähnen, in den Wind schlug. Ob Gödel trotzdem eingebürgert wurde (und vieles andere mehr), erfährt man in dieser Schatztruhe voller cleverer und witziger Einsichten.
Fazit: Ein wahrer Augenöffner und eine rundum beglückende Lektüre.
Ernst Peter Fischer
„Davon glaube ich kein Wort“
Anekdoten und Geschichten aus der Welt der Wissenschaft
Reclam, Stuttgart 2019
Göttlich! Ostern ist immer:)) Hatte sofort Bilder dazu. Was ist Molloy? Und Einstein als Theologe, das ergibt doch Sinn. Das Problem bei Texten dieser Art, ist : Dass ich dieses Buch sofort lesen will. Möge Gott eine Auge auf die Stadtbilbliothek werfen oder mir irgendwie zu mehr Geld verhelfen:))))
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…;-) … Molloy ist ein Roman von Samuel Beckett.
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Danke. An Beckett bin ich glamorös gescheitet. Hab nur ein Buch versucht von ihm zu lesen. Über Proust. Vielleicht im nächsten Leben. In diesem war ich dafür nicht schlau genug:))
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