Corona hat mich aufgeweckt und wieder neugierig gemacht. Diesmal auf Wissenschaft, für die ich mich nie gross interessiert habe. Zur Zeit jedoch finde ich all das, was mich einst begeisterte, von den Medien zur Fotografie zur Linguistik und zum Interkulturellen, ziemlich fade, Medizin und Biologie hingegen total spannend.
Für Leute wie mich, die bislang nie darüber nachgedacht haben, was eigentlich ein Virus ist – klar, von einer Viruserkrankung und einem Computer-Virus hatte ich schon gehört – , ist „Shutdown“ ein überaus nützliches Aufklärungsbuch, an dem eigentlich nur irritiert, dass es mit dem Doktortitel der Autorin hausieren geht, was für mich in aller Regel eher ein Indiz mangelnder Kompetenz ist (in diesem Falle scheint das nicht so, der Text überzeugt).
Die Autorin studierte Biologie und forschte mit Viren. Und sie versteht es, das ungeheuer breite Thema Pandemie leserfreundlich darzustellen. Das zeigt sich bereits im Prolog, der den grösseren Zusammenhang klarmacht, in dem unsere gegenwärtige Situation gesehen werden muss. „Der Mensch befeuert nicht nur den Klimawandel, sondern zerstört Natur und Umwelt in einer Dimension, die kein Ökosystem mehr verkraften kann. Viren, die bislang in einer harmonischen Symbiose mit ihrem tierischen Wirt zusammenleben, geraten unter Druck und suchen sich einen neuen Lebensraum oder zerstören den Angreifer: die Menschheit.“
À propos Zusammenhang: Dieses Buch macht mir auch bewusst, wie fahrlässig ich in den letzten Jahren auf dieser Welt (Afrika, Asien und Südamerika) unterwegs gewesen bin. Von der fehlenden Malaria Prophilaxe bis zum sorglosen Verzehr von was auch immer, ungeachtet der Faustregel „Cook it, boil it, peel it or forget it“, die ich vor Jahren noch befolgt habe, jedoch schon lange nicht mehr praktiziere. Auch in dieser Hinsicht ist „Shutdown“ ein Weckruf.
Bis vor Kurzem wusste ich nicht, dass in und auf unserem Körper Billionen von Bakterien (Lebewesen) und noch viel mehr Viren (keine Lebewesen, sie können sich nicht selbständig ernähren und vermehren) leben. Zusammen bilden sie unsere körpereigene Mikrobenarmee, der es jedoch nicht immer gelingt, Eindringlinge unschädlich zu machen.
Doch nicht nur die Zoonose ist eine weitgehend unterschätze Gefahr, auch das Wettrüsten im Bereich der biologischen Waffen wird von der breiteren Bevölkerung kaum zur Kenntnis genommen. „Laut Sunday Times gab es bereits um die Jahrtausendwende weltweit 450 Laboratorien, die mit biowaffenfähigen Krankheitserregern herumexperimentieren und zum Teil auch handeln.“ Gemäss gegenwärtigem Wissensstand stammt Covid-19 nicht aus dem Labor, die Wahrscheinlichkeit, dass das nächste Virus von dort kommt, ist jedoch viel grösser als ich gedacht hätte, was auch daran liegt, dass ich bislang nicht wirklich darüber nachgedacht habe.
Neben den biologischen Infos liefert „Shutdown“ auch viel nützliches Politwissen. Wir waren nämlich auch deswegen nicht auf Corona vorbereitet, weil Grundlagenforschung schon lange ein kümmerliches Dasein geführt hat, da sie nicht in unsere Zeit, die dem schnellen Geld verpflichtet ist, passt. „Ein breites Grundlagenwissen über Corona-Viren hätte eine Pandemie vielleicht verhindern können.“ Die Aktivitäten der Gates-Foundation sieht Ina Knobloch kritisch. „Zumindest Bill Gates und seine Stiftung scheinen immer gut vorbereitet zu sein, Zahlreiche Firmen, an denen er zum grossen Teil beteiligt ist, haben ein Rat-Race um Impfstoffe gegen das neue Corona-Virus begonnen – und die Aktien schiessen nach oben, während die meisten anderen Kurse sich im freien Fall befinden.“
Dass Ina Knobloch sich immer auch persönlich einbringt (im Gegensatz zu diesen Journalismus-Primadonnen, die vorgeben, der Objektivität verpflichtet zu sein und dabei ausser Acht lassen, dass sich persönlich zu zeigen, zu einer wahrhaft objektiven Darstellung dazugehört), gefällt mir ganz besonders an diesem Buch. Man lese etwa ihre Erfahrungen mit der Vampirfledermaus
Keine einzige Regierung, mit Ausnahme von Taiwan, Hong Kong und Südkorea (so mein Wissensstand), hat angemessen auf Corona reagiert. Die Politik tat, was sie immer tut – sie praktiziert das Durchwursteln. Politiker täten gut daran, von der Wissenschaft zu lernen: Genau Hinschauen, Fehler unverzüglich korrigieren, weiter forschen, besser werden. Das bleibt natürlich eine Illusion, denn die Politik orientiert sich nicht an der Wirklichkeit, sie bildet sich ein, diese gemäss den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen gestalten zu können. Sie wären gut beraten, sich bei Charles Darwin kundig zu machen, der hat nämlich gelehrt, dass nicht die Gescheitesten und auch nicht die Cleversten überleben, sondern die, welche sich am besten anzupassen wissen. An die Natur, nicht an die eigenen Vorstellungen!
So recht eigentlich müsste es doch mittlerweile allen klar sein, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Man denke an die verheerenden Waldbrände in Kalifornien, Australien und Amazonien. An die sintflutartigen Regenfälle in Indonesien, Ostafrika und Brasilien. An das Massensterben im Tierreich – erinnert man sich noch an die 40 000 toten Krabben, die an die Küste von Grossbritannien gespült wurden, an die 2 Millionen tote Fische, die an der Ostküste der USA angeschwemmt wurden? Ina Knobloch weist noch auf etliche weitere Fälle aus den letzten Jahren hin und mir wird bewusst, dass man all dies nicht vergessen darf und handeln muss, bevor es zu spät ist.
Fazit: Engagiert, lehrreich und aufrüttelnd.
Dr. Ina Knobloch
Shutdown
Von der Corona-Krise zur Jahrhundert-Pandemie
Droemer, München 2020
Nur EIN Wort: TOP.
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