Es gehört zu den eigenartigen Phänomenen, dass wir uns selten Gedanken über das Naheliegende machen. Mir jedenfalls ist noch nie eingefallen über den Boden nachzudenken. Und ich fühle mich sehr davon angetan, wie Peter Laufmann mich an das Thema heranführt. „Kinder lieben den Boden. Nicht nur, dass sie naturgemäss näher dran sind, sondern sie erfassen seine Eigenschaften unvoreingenommen. Frische Erde riecht angenehm, sie lässt sich formen, fühlt sich gut an. Man kann sie auftürmen und Löcher in sie graben. Wenn sie feucht ist …“.
Des Autors eigene Begeisterung ist spürbar. Und ansteckend. Bei ihm hat es Klick gemacht, und zwar ziemlich laut, als er verstanden hat, wie alles ineinandergreift. Ein fremdartiger Kosmos befindet sich unter unseren Füssen, mit einem einzigartigen Klima, bevölkert von ganz vielen, ganz unterschiedlichen Wesen. Der Boden lebt, atmet, trinkt und schwitzt. Ihn zu erforschen, ist eine besondere Herausforderung. „Denn der Boden ist eine verschlossene Kapsel mit eigenen Regeln, die wir nie beobachten können, weil sie just in dem Moment zerstört ist, indem wir sie uns eröffnen.“ Ein Dilemma, mit dem die Forscher sich abzufinden haben.
Man kann den Boden aus biologischer, chemischer oder physikalischer Perspektive betrachten. Oder aber so wie der 1846 in Milyukovo, einem Dorf im Distrikt Smolensk, geborene Wassili Wassiljewitsch Dokutschajew. „’Sein‘ Boden war ein Gesamtkunstwerk, geschaffen aus miteinander kommunizierenden und sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren. Vier hielt er dabei für entscheidend: die geologischen Bedingungen wie Ausgangsgestein, Relief und geologisches Alter des Landes, die Organismen, die dort wachsen und leben, das Klima und den Wasserhaushalt.“ Schon spannend, was herauskommen kann, wenn man sich nicht in den üblichen Denkkategorien bewegt, sondern einfach genau hinschaut und sich so seine Gedanken macht.
Wer wie ich als völliger Laie dieses Buch zur Hand nimmt, staunt nicht schlecht wenn er liest, es sei „ein Irrtum zu glauben, die Böden in den Tropen seien besonders fruchtbar. Im Gegenteil. Der Grund dafür ist, dass sie dort sehr lange verwittern konnten.“ Woraus unter anderem folgt: „Wer versteht, dass Böden in Regenwäldern alles andere als fruchtbar sind, weil sie nicht die chemischen Voraussetzungen haben, Nähstoffe zu binden, schützt die Bäume, die dort wachsen.“
Man kann (und sollte) die Erde als einen Organismus betrachten, der lebt. Der Boden, der aus Schichten besteht, gibt darüber vielfältig Auskunft. So recht eigentlich sei er ein Buch, meint Peter Laufmann. Und fügt hinzu: „Für den, der es zu lesen versteht.“ Seine Einführung in den Boden ist für mich eine willkommene Leseanleitung.
Dass alles mit allem zusammenhängt, gilt auch für den Boden, „ein Gemisch von festen, flüssigen und gasförmigen Stoffen“, die von einem Zustand in einen anderen wechseln können. „Stickstoff ist ein gutes Beispiel: Er kommt in der Luft vor, fliesst mit dem Bodenwasser als Ammonium oder Nitrit, steckt in organischer Substanz und verduftet manchmal als Lachgas.“
Das Universum unter unseren Füssen nennt der Autor sein Werk treffend. Dieses Universum ist von einer Vielfalt, die mich gelegentlich ziemlich exotisch anmutet. Klar, dass es da Regenwürmer gibt, das wusste ich, doch 80 pro Quadratmeter? Und dann die Pilze, von denen wir nur Stiel und Hut zu sehen kriegen und deren unterirdisches Geflecht sie so recht eigentlich ausmachen. „Der eigentliche Pilz lebt im Untergrund und wird manchmal um ein Vielfaches grösser als das Gebilde, das oben rausschaut.“
Der Mensch verhält sich nicht nur zu anderen Menschen, sondern auch zum Boden. Und es gilt das Prinzip, das auch zwischen Menschen gilt beziehungsweise gelten sollte: Wer nimmt, soll auch geben – ein gesunder Austausch muss stattfinden. „Der Boden ist eben kein abgeschlossenes System, sondern interagiert mit der Atmosphäre. Chemische Prozesse im Boden verändern die Zusammensetzung der Luft. Veränderungen im Klima beeinflussen chemische Prozess im Boden. Mitunter verstärken sich die Prozesse gegenseitig.“
Peter Laufmann ist den Boden sehr umfassend angegangen. Nicht nur auf die alten Griechen und Römer, sondern auch auf Alexander von Humboldt und Justus von Liebig nimmt er Bezug. Und er vergisst auch nicht dem Zoologen und Geologen Christian Gottfried Ehrenberg, dem Begründer der forensischen Bodenkunde, seinen Tribut zu zollen. Nicht zuletzt führt er aus, weshalb die Toten den Böden immer mehr zu schaffen machen.
Das Ziel dieses Buches sei, den „Lesern wieder ein Stück Begeisterung für den Boden zurückzugeben“, schreibt Peter Laufmann. Das ist ihm bestens gelungen.
Peter Laufmann
Der Boden
Das Universum unter unseren Füssen
C. Bertelsmann, München 2020