Der Titel Wetter ruft bei mir ganz unterschiedliche Assoziationen hervor, von der Unberechenbarkeit bis zum I just love weather einer jungen Kanadierin, als es während eines Schulausflugs in Costa Rica zu regnen begann. Nein, sie stand nicht unter Drogen.
Auch Jenny Offills Wetter ruft bei mir ganz unterschiedliche Assoziationen hervor, was jedoch weniger dem Rahmen der Geschichte (eine Ehefrau und Mutter aus Brooklyn, als Bibliothekarin tätig, beginnt die Zuschriften von Hörern eines Podcast mit dem Namen Komme, was wolle zu beantworten) zu verdanken ist, sondern den vielen alltäglichen Momentaufnahmen, die sich durch Scharfsinnigkeit und Witz auszeichnen. Selten empfand ich die Absurdität unseres menschlichen Daseins deutlicher.
Zwei Beispiele: „TIERE VERBOTEN steht auf dem Schild vor dem Restaurant. ‚Aber wir sind Tiere, oder?‘. ‚Jetzt sei nicht so pedantisch‘, sage ich zu ihm.“ „Erste Veranstaltung mit Sylvia. Was ich dazu sagen kann: Sehr viele Leute, die keine amerikanischen Ureinwohner sind, reden über amerikanische Ureinwohner.“
Wetter handelt natürlich auch von den bestimmenden Themen der (amerikanischen) Welt – Drogen und Technologie. Ihr Ex-Junkie-Bruder habe ihr einmal erzählt, so die Ich-Erzählerin, „dass ihm die Drogen fehlen, weil sie das Geschrei der Welt in seinen Ohren abgestellt haben“ und ein junger technologiebegeisterter Bursche erklärt ihr, „dass die gegenwärtige Technologie niemanden mehr verstören wird, sobald die Generation, die nicht damit aufgewachsen ist, verstummen wird. Aussterben wird, will er offenbar sagen.“
Ich lese Wetter als eine Art Tagebuch, als eine Sammlung cleverer Alltagsbeobachtungen, die mit einer Mischung aus Abgeklärtheit und Amüsement kommentiert werden. Die Frage, die diese Aufzeichnungen durchzieht ist: Wie kann/soll man leben angesichts der drohenden Apokalypse? Sich vorbereiten geht nicht, wird der Protagonistin klar, als sie ausser Atem den Bus erreicht. Ihre Zen-Hinweise weisen jedoch darauf hin, dass die Zukunft (wie das Wetter) nicht geplant werden kann und dass den Gedanken nicht zu viel Bedeutung zu geben, vermutlich hilfreich wäre.
Ich bin mir nicht immer sicher, wie einzelne Beobachtungen zu verstehen sind. Als ich etwa die „bekannteste Voraussage“ eines Zukunftsforschers lese: Alte Leute in grossen Städten, die sich vor dem Himmel fürchten, frage ich mich unwillkürlich: Ist das jetzt besonders weise oder ein absurder Witz? Vielleicht Literatur, denkt es so in mir.
Auch von den verschiedensten Aspekten des Klimawandels handelt dieses Buch. Und von den Kuriositäten der Namensgebung in Neuseeland. Und der (für mich) Frage des Tages an Vegetarier: „Eine Tomate ist genauso ein Lebewesen wie eine Kuh, oder etwa nicht?“ Überdies lerne ich, dass Katastrophenpsychologen (was es nicht alles gibt!), herausgefunden haben, dass das Standardverhalten der meisten Leute in für sie erschreckenden neuen Situationen sich ‚im Kreis bewegen‘ sei – was Sylvia, die Betreiberin des Podcasts Komme, was wolle mit „Das ist die Bezeichnung für das, was wir tun“ kommentiert.
Jenny Offill verfügt über eine hellwache, subtile Wahrnehmung, berichtet vom Konkurrenzdenken und Neid am Arbeitsplatz, über das Verhältnis der Protagonistin zu Mann und Sohn wie auch über die Tendenz des Menschen, sich gegenseitig (auch ungefragt) Ratschläge zu erteilen. Die Comédie Humaine zeigt sich am Schönsten im Alltag, der das Zentrum von allem, ja, das Wichtigste überhaupt ist – schliesslich gibt es nichts anderes.
Wir wüssten schon, wie wir leben sollten, doch wir tun es nicht. Ändert es etwas, wenn wir uns damit auseinandersetzen? „Ich weiss nicht, was mit mir nicht stimmt. Offenbar kann ich nicht aufhören, falsche Entscheidungen zu treffen. Das Abartige daran ist. Dass sie sich nicht heimlich anschleichen. Ich kann sie meilenweit kommen sehen.“
Fazit: Gescheit, witzig und anregend.
Jenny Offill
Wetter
Piper, München 2021