Eigenen Angaben zufolge ist die 1988 geborene Jia Tolentino seit ihrem zehnten Lebensjahr internetsüchtig. Die anfängliche Begeisterung hat sich allerdings gewandelt. So um 2012 geschah das, vermutet sie. „Während wir früher die Freiheit hatten, online wir selbst zu sein, waren wir nun online an uns selbst gekettet, und das machte uns unsicher.“ Vor allem aber macht es uns abhängig, man nennt das auch Sucht (sie sagt es ja selber und zelebriert sie dann).
Wir leben in Frankenstein-Zeiten und das meint: Wir schaffen uns Monster, die wir nicht kontrollieren können, weil sie ein Eigenleben entwickeln. Anders gesagt: Der leichte und schnelle Zugang zu ganz unterschiedlichen Dingen, den uns das Internet verschaffte, gibt es zwar immer noch, doch mittlerweile ist er einer Unübersichtlichkeit gewichen, in der wir zu ersaufen drohen. Und genau das ist es, was Trick Mirror bei mir wesentlich auslöst – das Gefühl erschlagen zu werden. Und zwar mit Informationen, die, zugegeben, immer auch interessant sind, doch die ich so recht eigentlich nicht brauche. Mehr noch, die mir den Blick verstellen auf für mich Wesentlicheres.
Konkret: Hope Hicks trat Anfang 2018 als Trump-Regierungsfrau zurück. Jia Tolentino nimmt dies zum Anlass, sich mit dem Phänomen Hicks und darüber hinaus mit konservativer Gender-Politik auseinanderzusetzen. Der mediale Hinweis darauf, dass Hicks einmal als Model gearbeitet hat, erachtet Laura McGann in einem Artikel für Vox als sexistisch und sollte ihrer Meinung nach unterlassen werden. Jia Tolentino sieht das anders. Für sie ist zentral, dass Frauen vom Patriarchat geformt werden und Trump drei Models geheiratet hat, weshalb denn auch Hicks so recht eigentlich eine Idealbesetzung für diesen Mann gewesen ist. „Ein Model muss einen Weg finden, einem unsichtbaren, ständig wechselnden Publikum zu gefallen; sie muss es verstehen, die Menschen schweigend dazu zu bewegen, ihre Wünsche und Bedürfnisse auf sie zu projizieren; unter hohem Druck muss sie perfekte Haltung und Selbstkontrolle ausstrahlen.“ Das sind gescheite Überlegungen, ich bezweifle jedoch, dass der Immobilienmafioso aus Queens sie sich gemacht hat. Doch mein Problem hier ist ein anderes: Ich will mich nicht mit Hope Hicks beschäftigen. Und auch nicht mit Models, die hier als Meisterinnen der Strategie (!) geschildert werden. Überlegungen interessant zu finden, ist mir zu wenig.
Über das inszenierte Ich, so der meine Neugierde weckende Untertitel, habe ich nichts wirklich Neues erfahren. Und dass der digitale Overkill problematisch ist, das wusste ich schon. Denn das Internet ist wie alles in der westlichen Konsumgesellschaft: Too much, and too much to handle.
Anregend ist das Buch gleichwohl. Das hat mit Sätzen wie diesem zu tun, der mich auf Grundsätzliches aufmerksam macht. „Die sozialen Medien wurden um die Idee herum konstruiert, dass etwas insofern von Bedeutung ist, als dass es für einen selbst von Bedeutung ist.“ Ich Ich Ich, eine andere Ideologie scheint es heute nicht mehr zu geben. Das gilt genauso für Autoren und Autorinnen.
Trick Mirror ist auch ein sehr persönliches Buch, was es mir sympathisch macht. Jia Tolentino gibt nicht vor, den Durchblick zu haben, stattdessen erzählt sie davon, wie sie ich darum bemüht, mit der Komplexität des Lebens klarzukommen. Sie ist eine sehr eigenständige Denkerin und das zeichnet sie meines Erachtens vor allem aus. Und sie hat Humor. „Zu Lebzeiten wurden Amy Winehouse und Whitney Houston oft als drogensüchtige Monster hingestellt; nach ihrem Tod sind sich alle einig, sie seien schon immer Genies gewesen.“
Die Essays in diesem Band sind sehr lang und, wie es amerikanischen Essays eigen ist, imponierende Fleissarbeiten. Das vermutlich beste Beispiel ist „Pure Heldinnen“ – mehr Details sind kaum vorstellbar; was die Autorin mit der Zurschaustellung ihres geballten Wissens sagen wollte, habe ich allerdings nicht verstanden. Doch dann erinnerte ich mich plötzlich an einen Satz aus „Optimierung ohne Ende“, der mir wie ein Schlüssel für diese Texte vorkam: „Ich esse meistens abartig schnell“, las ich da. Natürlich weiss ich nicht, ob diese Essays schnell geschrieben wurden, doch auf mich wirken sie wie das Internet: Too much, and too much to handle. Das passiert auch, wenn man zu schnell isst.
PS: Bei einem englischen Titel für ein deutsches Buch, drängt sich so eine englische Zusammenfassung geradezu auf.
Jia Tolentino
Trick Mirror
Über das inszenierte Ich
S. Fischer, Frankfurt am Main 2021