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Erste Schritte

Tom Buk-Swienty: Die Löwin

Das ist ein wahrhaft monumentales Buch: umfangreich (über 700 Seiten Text), voller eindrücklicher Bilder, schwer in der Hand liegend – nur schon das Darin-Blättern ist eine Freude, der exzellenten Buchgestaltung wegen. Dieses Werk ist auch ästhetisch eine Perle!

Auch der Einstieg ist aussergewöhnlich. Tom Buk-Swienty, geboren 1966, studierter Historiker, heute als freier Autor und Dokumentarfilmer tätig, erzählt nämlich höchst lehrreich vom Kaffee, also über Kaffeesamen, Beeren und Bohnen sowie über den Kaffeeanbau in Britisch-Ostafrika. Und natürlich hat das seinen guten Grund, denn als die achtundzwanzigjährige Tania Blixen (Tanne), die damals noch Karen Christentze Dinesen hiess, im Dezember 1913 von Neapel nach Mombasa aufbrach, um dort den schwedischen Baron Bror Blixen zu heiraten, planten die beiden im ostafrikanischen Hochland eine Kaffeefarm zu betreiben.

Man glaubt mit an Bord zu sein, so anschaulich schildert der Autor diese Reise. „In dem wie mit dem Lineal gezogenen Suezkanal hat man vom Schiffsdeck aus die Aussicht auf Sand und nochmals Sand; hin und wieder ist eine Kamelkarawane zu entdecken. Die Temperaturen steigen. Im Roten Meer ist die Luftfeuchtigkeit hoch, die Sonne glüht. Fliegende Fische springen am Schiff entlang, und in der Nacht phosphoreszieren die Wellen durch Meeresleuchten.“

Hervorragend gelingt Tom Buk-Swienty auch die Charakterisierung von Tanne, die unter starken Stimmungsschwankungen leidet und den grossbürgerlichen Normen ihres Elternhauses zu entkommen trachtet, allerdings mit eher geringem Erfolg. „Der Aufenthalt in Afrika ist für unbestimmte Zeit geplant, und zum Schutz vor dem Fremden hat Tanne mehr oder weniger die komplette europäische Zivilisation mitgenommen.“

Für mich sind Biographien Fiktion. Wenn sie gut sind – und die vorliegende ist gut, ja, sehr gut – , sind sie wohl informierte, differenzierte Mutmassungen, denn was der Biograph vorgibt zu wissen, kann er oft gar nicht wissen. Natürlich, es gibt Dokumente, doch was schriftlich zurückgelassen wird, bezeugt immer nur einen Bruchteil dessen, was wirklich vorgefallen ist. Und wer kann schon wissen, was andere fühlen? Man weiss es ja auch von sich selber nur selten wirklich genau. Dazu kommen etwa im Falle der Syphilis von Tanne auch die „vielen Verheimlichungen, Halbwahrheiten und späteren Erklärungen“, die mehrere zentrale Fragen rund um die Krankheit unbeantwortet lassen.

Tom Buk-Swienty ist ein höchst differenzierter Biograph. So kommentiert er etwa die Mehrdeutigkeit einer Notiz, die sich auf Tannes unerwiderte Liebe zu Brors Zwillingsbruder Hans bezog: „Ob an diesen Spekulationen etwas Wahres ist, wird sich kaum verifizieren lassen, ebenso wie die äusseren Umstände rätselhaft bleiben, wie Tanne und Bror irgendwann im Laufe der nächsten Jahre zusammenfanden.“ Mehrmals fragt er sich auch, ob der Eindruck, den Fotos vermitteln, nicht etwa täuschen. „Lügen die Fotos? Vermutlich.“

Die grosse weite Welt lockte die beiden, der Zufall führte sie nach Ostafrika, wo die ersten Siedler neben bürokratischen Hürden auch mit dem unbeständigen Klima, Löwen, Elefanten, Ruhr. Cholera. Pythonschlangen sowie unzuverlässigen Arbeitskräften zu kämpfen hatten. „Kenias Hochland war ein Garten Eden. Doch in den Augen der Europäer waren die lokalen Stämme in der Steinzeit stehen geblieben. Umgekehrt hätte man genau so gut sagen können, die Afrikaner waren einem glücklichen Idealzustand sehr nahe. Es gab einen ungeheuren Überfluss an Früchten und Wildtieren, und es war so einfach, Gemüse zu ziehen; es bedurfte nur eines geringen Arbeitseinsatzes um sich selbst zu versorgen … sie hatten alles, was das Leben lebenswert werden liess.“ Nur eben: Dem britischen Imperialismus galt der zufriedene Afrikaner wenig. „Hier gab es die letzte grosse Fläche unbestellten Ackerlands auf der Welt.“ Und für Leute mit einem grossen Portemonnaie ungeahnte Möglichkeiten.

Die Löwin ist natürlich auch Zeit- und Sozialstudie. Afrika zog damals viele Abenteurer an und nicht alle waren von edlem Wesen. Im Gegensatz zu den meisten Siedlern, bekundeten Tanne, die Suaheli lernte, und Bror grosses Interesse an den Afrikanern. „Charakterlich stehen sie über uns“, so Tanne in einem Brief. Auch ist sie höchst angetan von den Mohammedanern. „Ich glaube nicht, dass es Menschen mit mehr Selbstbewusstsein, Ruhe, Mut und Würde gibt als die Mohammedaner …“.

Bror und Tanne führten ein abenteuerliches Leben. Manchmal die Orientierung zu verlieren, war das Eine; festzustellen, dass da, wo sie gezeltet hatten, in der Nacht Löwen zu Besuch kamen, das Andere. Zudem gab es auch unter den Expats, vor allem während des Ersten Weltkrieges Zwistigkeiten, die ihre Geschäfte behinderten. Dazu kamen persönliche Schicksalsschläge: Tannes Herzensfreundin Daisy, vielfältig suchtabhängig, nahm sich mit achtundzwanzig Jahren das Leben; Brors Zwillingsbruder Hans kam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

Abhängig von den finanziellen Zuwendungen von Tannes Onkel, ausgeliefert der Trockenheit und diversen Kündigungen – das Leben der beiden war alles andere als einfach. Dazu kamen Brors Affären, die ihre Ehe belasteten. Tanne fand Trost „in ihrer neuen Passion für den Islam und seine Schicksalsgläubigkeit.“ Scheiden lassen wollte sie sich nicht; ihre Privilegien war sie nicht bereit aufzugeben – selbst einen somalischen Diener nahm sie mit auf einen Besuch in Dänemark. Doch dann …

Tania Blixen ist durch ihr Memoir Jenseits von Afrika berühmt geworden. Allein wie Tom Buk-Swienty sich mit diesem Werk auseinandersetzt, lohnt die Lektüre dieser Biographie. „In dem Universum und vor allem der Selbstinszenierung, die das Buch in hohem Mass ist, gab es keinen Platz für eine komplizierte Scheidung von einem moralisch zweifelhaften Ehemann.“ Was für eine überzeugende Idee, denen, die darin nicht vorkommen, darunter Beryl Markham, nachzuspüren,.

Was mich speziell für diese ungeheure Fleissarbeit einnimmt, ist der Autors Fähigkeit, spannend zu erzählen und gleichzeitig seine vielfältigen Überlegungen zu einzelnen Vorkommnissen darzulegen. So fasst er etwa seine Ausführungen zur Frage, ob Tanne ein Verhältnis mit Baron Eric von Otter hatte, mit dem Satz zusammen: „Es konnte natürlich alles und nichts bedeuten.“

Tania Blixen war von einer mitunter schwer erträglichen Widersprüchlichkeit– affektierte Oberklassemanieren, Snobismus, kategorische Abscheu vor allem Bürgerlichen einerseits, die ungeheuren Summen, die sie vom Grossbürgertum erhielt andererseits – , die jedoch von ihrer herzlichen Mitmenschlichkeit, die ihren Führungsstil auf der Farm prägte, ergänzt wurde.

Die Löwin ist das Porträt einer neugierigen, eigensinnigen, standesbewussten, von den Werten der väterlichen Familie geprägten Frau. „Die Gesetze und Anordnungen der Weissen sind für die Schwarzen nicht geeignet …“, notierte sie einmal. Darüber hinaus bietet dieses eindrückliche Werk eine faszinierende Zeitreise, bei der man Afrika nicht nur sehen, sondern gleichsam spüren kann. „In dieser hohen Luft fiel das Atmen leicht, und man atmete eine wilde Hoffnung ein, als bekäme man Flügel. Wenn man im Hochland morgens erwachte, dachte man: Jetzt bin ich da, wo mein Platz ist“, so Tanne. Wer möchte da nicht sofort auch dahin? „Tania Blixen in Afrika“ heisst der Untertitel – dieses Buch ist auch eine Hommage an Afrika.

Fazit: Glänzend geschriebene Aufklärung vom Feinsten!

Tom Buk-Swienty
Die Löwin
Tania Blixen in Afrika
Penguin Verlag, München 2021

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Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006), Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011), Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011), Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013), Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017), In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018), Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018), Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019), Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021), Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein: Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023).

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