Otto A. Böhmer ist ein enorm produktiver Schreiber, der differenziert, informativ und sehr witzig unterwegs ist, und bei dem mich immer wieder erstaunt, mit welcher Konstanz er qualitativ Hochwertiges herbeizaubert. Wie macht er das bloss? Keine Ahnung, doch dass dem Mann eine ausgesprochene Denk- und Schreibbegabung sowie ein Unterhaltungsgen eignet, scheint mir offensichtlich. Zudem verfügt er über einen weiten Horizont, der sich von Fachdisziplinen wenig einschränken lässt – und damit bestens zum Anreger taugt. Nietzsche und Schiller, Hesse und Schopenhauer, Conrad und Wittgenstein, Goethe und Thoreau … des Autors Neugier ist grenzenlos.
Reif für die Ewigkeit, so ein Titel muss einem erst mal einfallen! Man sollte sich Zeit dafür nehmen und bei ihm verweilen, auf dass er sich so richtig entfalten möge, denn reif wird man ja nicht nur durch Zeitablauf, sondern auch durch das Akzeptieren unserer misslichen Lage auf diesem Planeten, auf dem wir tun und lassen können, was wir wollen, bedauern werden wir es sowieso. Uns bleibt zu erkennen, dass in uns selber kein Ausweg liegt, doch das erschliesst sich denen nicht, die sich nicht darum bemüht haben – davon handelt der Prolog, der die Freuden und Leiden der Selbstsuche zum Thema hat. Apropos: Der Untertitel meiner PDF-Version lautet „Vom Nutzen und Nachteil der Selbstfindung“ und nicht, wie auf dem Buchumschlag, „Kierkegaard und das Lachen der Götter“. Ich interpretiere Letzteres in etwa so: Weisst Du, wie man den lieben Gott zum Lachen bringt? Erzähl ihm doch einfach, was du so für Pläne hast.
Von seinem Vater lernt der junge Kierkegaard das Disputieren. Als Zeichen seines Gehorsams absolviert er ein Theologiestudium, das jedoch seinen Widerwillen gegen das offizielle Christentum intensiviert, „das mehr auf Bequemlichkeit und Absicherung aus war als auf ein wirkliches Annehmen der Bodenlosigkeit, in der das Leben jedes einzelnen Menschen sich entfaltet.“
Otto A. Böhmer schildert Kierkegaard als einen, der mit Zweifeln umzugehen weiss und sich gleichzeitig ein persönliches Gottvertrauen erarbeitet, also die Widersprüchlichkeit der Existenz annimmt. „Es ist eine Verbeugung vor den Gegensätzen, die Kierkegaard verlangt: Endlichkeit und Unendlichkeit ragen unmittelbar in unser Dasein hinein und müssen ausgehalten werden.“
Mit Schwermut geschlagenen Menschen ist oft auch eine leichte und manchmal überhebliche Seite eigen. Stille Verzweiflung einerseits, unbeschreibliche Freude andererseits, scheinen Kierkegaard charakterisiert zu haben. Ernst Bloch bezeichnete ihn als einen „der witzigsten Schriftsteller“ und „Witzemacher in hohem Stil, die je gelebt haben.“
Reif für die Ewigkeit enthält viele und überaus ausführliche Zitate, nicht nur, aber vor allem von Kierkegaard – mir hat das gut gefallen, des Philosophen Denk- und Fabulierlust ist spürbar.
Zentral ist für Kierkegaard der Einzelne, der dem Idealismus, der das abstrakte Denken pflegte, fremd war. Dieser Einzelne steht jedoch nicht für sich allein, sondern unter göttlicher Beobachtung. „Die unlösbare Verbindung zu Gott macht das Wesen des Menschen aus, was aber eigentlich auch nur abstrakt gedacht werden kann (…) Kierkegaard plädiert für eine realistische Abstraktion, die sich, einmal auf den Weg gebracht, ihres Ursprungs bewusst bleibt. Wirkliches Leben und Denken müssen nicht unvereinbar sein, sondern können zusammenfinden, dafür zuständig ist das Individuum, nicht ein verselbstständigtes System ambitionierter Begriffe , das sich für zu vornehm hält, um dem Einzelnen noch Beachtung zu schenken.“
In unseren Zeiten, in denen der Mensch sich selbst genug wähnt und sich dem Diktat der Schnelllebigkeit sowie der (eingebildeten) Kompetenz unterwirft, interessiert nicht mehr, „dass einst nach einer höheren Einlösung des irdischen Daseinsauftrags gesucht wurde“; stattdessen: „der Himmel hat seine fliehenden Sterne und den Weltraummüll, einen Ort für Gott aber, von dem sich manche trotz des einst ausgesprochenen Bilderverbots noch immer ihr Bild machen wollen, hat er anscheinend nicht.“
Reif für die Ewigkeit ist ein Werk, das mich immer mal wieder innehalten liess. Etwa wegen Sätzen wie diesen: „Wenn zur Menschlichkeit aufgerufen wird, ist das wünschenswert und in Ordnung; dabei sollte es aber, so Kierkegaard, nicht zu menschlich zugehen, denn dann wird es matt und mittelmässig, der Mensch bleibt unter seinen Möglichkeiten.“ „Das Geheimnis der Liebe hat den gleichen, nicht einsehbaren Grund wie das Geheimnis des Lebens, für das Gott steht.“ „Eine Betriebsprüfung des Ich, elend lang hingezogen und zu gründlich umgesetzt, ist eher von Nachteil, als dass schnelle Vorteilsnahme von ihr zu erwarten wäre.“
Dass man mit Kierkegaard, dessen Blick sich auf die Schwächen und Selbstgefälligkeiten des Menschen richtete, wie Otto A. Böhmer ausführt, heute wenig anfangen kann, sagt mehr über die heutige Zeit als über den dänischen Philosophen. Reif für die Ewigkeit ermahnt uns, gescheit und unterhaltsam (das Markenzeichen dieses Autors), massvoll wie auch grundsätzlich zu denken und wesentlich zu werden.
Otto A. Böhmer
Reif für die Ewigkeit
Kierkegaard und das Lachen der Götter
Verlag Karl Alber, Freiburg 2021