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Erste Schritte

Patrick Leigh Fermor: Eine Zeit der Stille

„Ich weiss nicht, wie ich meine Gefühle benennen soll – sie reichen jedenfalls tiefer als blosse Neugier oder Interesse, und sie sind gewichtiger als die Freude, die ein Historiker oder Kunstliebhaber angesichts uralter Gebäude oder einer seit Jahrhunderten unveränderten Liturgie empfindet …“ , notiert Patrick Leigh Fermor in seiner Einführung und beschreibt damit auch meine eigenen Empfindungen in Bezug auf Klöster, wobei meine Zeit als Klosterschüler, an die ich nur vage, aber ungute Erinnerungen habe, davon kaum betroffen sind. Dafür ist es mein letzter Aufenthalt in einem ungarischen Kloster vor einigen Monaten, für ein paar Tage nur, wo die Schlichtheit der Zelle mich auf Wesentliches fokussieren liess: Auf das Hier und Jetzt.

Darf ein Aussenstehender sich eigentlich zum klösterlichen Leben äussern?, fragt sich der Autor. So lange er keinen Zweifel daran lasse, dass er hier ausschliesslich seine persönliche Meinung wiedergebe, sei das kein Problem, sagt ein ihm wohlgesinnter Abt. Gibt es eigentlich Meinungen, die nicht persönlich sind? Ich zumindest kann mir keine solchen vorstellen.

Patrick Leigh Fermor berichtet in diesem schmalen Band von seiner Zeit (die Originalausgabe erschien 1957; die vorliegende, von Dirk van Gunsteren hervorragend übersetzte Version stammt aus dem Jahre 1982) als Gast in französischen Klöstern, wo er in der Abgeschiedenheit zu schreiben plant. Zudem beschreibt er seine Eindrücke von den Felsenklöstern von Kappadokien. Er erzählt von der Geschichte der Klöster, die einen wenig von Bildung Begeisterten etwas frustriert zurücklässt, doch erfreulicherweise schildert er auch seine Gefühlslage (ich hätte mir mehr davon gewünscht), denn es sind des Autors Beobachtungen und Erfahrungen, die mir Eine Zeit der Stille wertvoll machen.

Das Leben innerhalb des Klosters und das Leben draussen „haben gar nichts miteinander gemeinsam“, befindet er. Das liegt wesentlich daran, dass die Zeit hinter Klostermauern langsam vergeht. Dem umtriebigen Menschen draussen ist hingegen wichtig, dass alles schnell geht – von der Zeit weiss er nur, dass er sie nicht wahrnimmt. Allmählich lernt Fermor jedoch, dass auch im Kloster die Zeit schnell vergeht …

Er muss sich umgewöhnen. „… es deprimierte mich, dass mir das gewohnte reichliche Quantum Alkohol versagt war.“ Die anfängliche Müdigkeit und Rastlosigkeit weicht bald einem neuen Tatendrang. Hellsichtig notiert er: „Die Werte, nach denen die Mönche streben, sind dieselben geblieben, während die der Welt ringsum kaleidoskopische Veränderungen erfahren haben. Es ist eigenartig, dass eine Welt, die sich jährlich ändernden Moden unterwirft, dem klösterlichen Leben mit Spott begegnet.“

Nicht von den Aufregungen und Moden des Tages aufgefressen zu werden, sondern durch eine strenge und starre Ordnung das Gleichförmige und mithin Ewige anzustreben, das bedeutet für mich eine Klosterexistenz. Klöster sind aus der Zeit gefallen und das ist gut so, denn Orte der Besinnung tun Not. Allzu viele werden es wohl nicht mehr sein, denn zu gross ist der heutzutage allumfassende Druck, profitabel zu sein.

Klöster sind verschieden, die Ordensregeln genauso. Benediktiner pflegen andere Vorstellungen als Trappisten. Auch davon handelt dieses Buch. „Der Tagesablauf in einem benediktinischen Kloster war mir anfangs streng erschienen, doch verglichen mit dem trappistischen Horarium ist er die reinste Sommerfrische.“

Eine Zeit der Stille ist eine hilfreiche Einladung, sich auf Wesentliches zu besinnen.

Patrick Leigh Fermor
Eine Zeit der Stille
Zu Gast in Klöstern
Dörlemann, Zürich 2022

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Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006), Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011), Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011), Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013), Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017), In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018), Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018), Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019), Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021), Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein: Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023).

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