Port Townsend, Bundesstaat Washington, USA. „Wenn ich vor Jahren über meine Zukunft nachgedacht habe, schien Armut mir unvorstellbar, weit entfernt von jeglicher Realität. Nie hätte ich gedacht, dass ich jemals so enden würde. Aber jetzt, nach der Geburt eines Kindes und einer Trennung, steckte ich mittendrin in einer Realität, aus der es keinen Ausweg zu geben schien.“
So schwierig und erniedrigend eine solche Situation ist, noch viel schwieriger und erniedrigender wird sie durch die Reaktion der völlig mit sich selber beschäftigten, dem Alkohol zuneigenden Mutter sowie dem vollkommen ignoranten Stiefvater. Und einem gesellschaftlichen Klima für das alle, die in Kategorien des Gewinnens und Verlierens denken, mitverantwortlich sind.
Stephanie kommt zusammen mit Mia, ihrer Tochter, in einem von den Sozialbehörden betriebenen Wohnkomplex unter. „Ich hatte Mia in eine Welt der Armut mitgenommen, sie mit Menschen umgeben, die auf manchmal tragische Weise versuchten, mit der Armut umzugehen; mit Menschen, von denen manche so lange im Gefängnis sassen oder eine Entziehungskur machten, dass sie ihre Wohnungen verloren; mit Menschen, die so wütend waren, weil sie nie einfach mal durchatmen konnten, und mit Menschen, die Symptome verschiedener psychischer Krankheiten zeigten.“
Sie erlebt eine Realität, vor der die meisten von uns keine Ahnung haben und auch nicht haben wollen. Darauf aufmerksam zu machen, ist nicht nur nützlich, sondern notwendig. Denn nur wenn wir die Augen davor nicht verschliessen, gibt es die Chance, dass sich da was tun kann. Das meint auch, dass eine Einstellungsveränderung vonnöten ist. „Die Regierung wie auch alle anderen gingen automatisch davon aus, dass mir nicht zu trauen war.“
Sie findet Arbeit als Putzhilfe, ihr Freund erwartet jedoch, dass sie ihm auch bei seiner Arbeit auf der Farm zu Hand geht – das Verhältnis der beiden ist eher suboptimal, mit Männern hat sie generell kein Glück, was auch an ihr liegt.
Als Putzhilfe ist sie gleichsam unsichtbar, sie wundert sich. wie unordentlich und nachlässig die Menschen sind. „Ich wurde zu einer Zeugin (…) Fast kam es mir so vor, als würde ich meine Kunden besser kennen, als ihre Verwandten es taten.“ Nicht nur für die Kunden, auch für die Reinigungsfirma wurde sie zu einem namenlosen Geist. Als ihr einmal ein Kunde sagte: „Wenn es aufhört, Spass zu machen, dann sollte man es gut sein lassen.“ gehen ihr diese Worte für den Rest des Tages nicht mehr aus dem Kopf – kurz wirft sie ihr Freund aus der gemeinsamen Wohnung.
Menschen am unteren Ende der Leiter des sozialen Lebens haben noch nie viel Ansehen genossen. Während der Pandemie gab es ein paar Wochen, in denen vielen bewusst wurde, wie abhängig wir alle von all den Hilfskräften sind, die wir selten einmal wahrnehmen. Dieses Buch macht unter anderem deutlich, wie sich ein solches Leben anfühlt – da gibt es dieselben Probleme mit den Chefs, dieselben Neidereien unter den Angestellten wie überall. Der Unterschied ist: Diese Menschen sind resilienter, stärker und lebenstüchtiger als wir andern, die wir an ein wesentlich leichteres Leben gewohnt sind.
Sie bittet online um Hilfe. Nicht wenige helfen, andere schauen jedoch auf sie herab, halten sozial Bedürftige für Profiteure. Barbara Ehrenreich bringt es in ihrem Vorwort auf den Punkt: „Das vielleicht verletzendste Merkmal der Welt Stephanies ist die Feindseligkeit, die ihr von Bessergestellten entgegenschlägt.“
Obwohl ihr mitunter alles über den Kopf wächst, gibt Stephanie nicht auf. Und auch immer wieder trifft sie auf Menschen, die es gut mit ihr meinen. Dass sie sich nicht hat unterkriegen lassen, dass sie trotz vieler Rückschläge nicht aufgehört hat, für eine bessere Zukunft für sich und ihre Tochter zu kämpfen, macht nicht nur Eindruck, sondern zeigt, dass es auch eine wahre Heldin manchmal in die Medien schafft.
Stephanie Land
MAID
Harte Arbeit, wenig Geld und der Überlebenswille einer Mutter
Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2022