Unter den Journalismus-Definitionen gehört „Nichts als Klatsch“ zu denen, die mir geblieben sind. Eine andere „Die wortreiche Beschreibung von Ereignissen, die auch ohne diese stattfinden“ liesse sich genauso auf das vorliegende Werk anwenden. Nur: Beide Definitionen gehen vollkommen an dem vorbei, was entscheidend ist – dass Klatsch spannend und unterhaltsam sein kann, auch wenn wir das alles gar nicht unbedingt wissen müssen.
Palace Papers, das ist mir bereits nach wenigen Seiten klar, ist die Art von Journalismus, bei der ich mich bestens informiert und gleichzeitig bestens unterhalten fühle. Das liegt wesentlich daran, dass Tina Brown über einen sehr britischen Humor verfügt, der ein gutes Auge und ein scharfes Urteil voraussetzt. Bei Formulierungen wie „das stoische Erbgut der Queen“ oder „bei dem die Familie in einem unverständlichen, abgehackten Upper-Class-Akzent plaudert“ oder „Erbittert nahm sie jeden noch so kurzen Tageslichteinfall auf den royalen Zauber übel“ kann ich gar nicht anders als laut heraus lachen (auch übrigens dank der exzellenten Übersetzung).
Apropos Journalismus: Die Ausführungen dieser Vollblutjournalistin über die Unterschiede der britischen und amerikanischen Medien sind wunderbar erhellend. Hier nur soviel: „Britischer Zeitungsjournalismus – raubeiniger als sein amerikanischer Vetter und weniger von hochtrabenden Prinzipien belastet – hat sich immer als Handwerk verstanden, nicht als feierliche Berufung.“ Es versteht sich: Palace Papers ist natürlich auch ein Buch über Tina Brown und ihre aufgeklärte Sicht der Welt.
Hinter den Palastmauern geht es offenbar auch nicht anders zu als an andern Orten auf der Welt, wo die Vorstellung regiert, der Mensch sei etwas Spezielles. Da das Sein auch das Bewusstsein wesentlich bestimmt und die Aufrechterhaltung der Fassade oberstes Gebot ist, erstaunt wenig, dass die Royals von sich aus keine Vorstellung davon haben, was finanzielle Nöte bedeuten könnten. Und was die Moral angeht: „Nach den Ehebruchsregularien der Oberschicht, so scheint es, ist das einzig wirklich Unehrenhafte, was man tun kann, die Wahrheit zu sagen.“
Hatte ich bislang (ohne mir diesbezüglich gross Gedanken zu machen), die Queen als eine Frau wahrgenommen, der das Loslassen nicht wirklich gegeben war, so dämmerte mir während der Lektüre, dass Charles‘ Reputation lange Zeit schwer mit dem Image in Einklang zu bringen war, das man sich für einen König vorstellte. Übrigens: Dies ist auch ein Buch hinter die Kulissen. Anlässlich von Charles‘ Hochzeit mit Camilla sass die Queen „die ganze Zeit mit ihrer gewohnten (nämlich völlig reglosen) Hochzeitsmine da“, hinter der Bühne offenbarte sie jedoch ein weit herberes Wesen.
Ein Royal zu sein bedeutet ein Leben in der Öffentlichkeit, im Scheinwerferlicht. Kein Wunder führt das zu einer Deformierung. „Noch nie“, so Tina Brown über Camilla, „hatte sie einen Terminkalender voller unliebsamer Aktivitäten besessen – all das, was im Grunde das königliche Leben ausmacht.“ Dass einige Medien sich dabei häufig ausgesprochen rücksichtslos und teilweise kriminell (so wurden etwa Telefonate abgehört) verhielten, ist dem Profit-Druck geschuldet.
Palace Papers ist ein Buch über Neid, Eifersüchteleien und Ränkespiele, über die vielfältigen Abhängigkeiten der Menschen untereinander, von denen sich die Royals höchstens durch ihre Eingebildetheit und Arroganz, ihr Machtbewusstsein und ihre Kaltherzigkeit unterscheiden. Intrigierend, berechnend, überheblich, mit einem Anspruchsdenken, das in unverdienten Privilegien gründet – dass die Untertanen sich dies gefallen lassen ist Beleg genug, dass der mündige Bürger ein Mythos ist.
Kennzeichnend für die Royals ist Kontrolle, weshalb denn auch ihre Planung hervorragend ist und Gefühle ignoriert werden. „Beschwere dich nie, erkläre dich nie. Jammer nicht – mach einfach weiter.“ Charakteristisch ist ein ausgeprägter Standesdünkel. So wies etwa Margaret, die Schwester der Queen, Diana zurecht als sie den Chauffeur ‚David‘ anstatt ‚Griffin‘ genannt hatte. Den eigenen Status aufrechtzuerhalten, dem ist alles untergeordnet.
Neben vielen aufschlussreichen und erhellenden Informationen verschafft einem Tina Brown auch lebensweise Einsichten. Etwa dass eine extrem Ichbezogene Frau eine erstaunlich gute Mutter sein kann. Oder dass das hochmütige Herabschauen auf Publicity als etwas Vulgärem sich bestens damit verträgt mit harten Bandagen um mediale Aufmerksamkeit zu kämpfen. Oder dass sie Jeffrey Epsteins feines psychologisches Gespür schon früh erkannte. Aber auch diesen gescheiten und sensiblen, der Queen zugeschriebenen Satz: „Trauer ist der Preis, den wir für die Liebe bezahlen.“
Palace Papers ist auch ein Buch über Strategie und Kalkül. Meghan Markle steht den gebürtigen Royals diesbezüglich in nichts nach. Nicht nur Prince Philipp und Prince Charles, auch Diana Spencer und Kate Middleton verstanden gewieft zu kalkulieren. Über letztere schreibt Tina Brown: „Geduld, Unnachgiebigkeit und dass sie ihrem zukünftigen Mann den nötigen Freiraum liess, hatten das mustergültige Mädchen aus der Mittelschicht in Bucklebury an die Schwelle des britischen Thrones geführt.“ Nach der Lektüre dieser umfangreichen Aufklärungsschrift, in der man auch erfährt, dass die Königinmutter ihre jährlich Pension von 643 000 Pfund Jahr für Jahr um das Achtfache überzog, wird man die medialen Inszenierungen der Royals mit anderen Augen sehen. Übrigens: „Der Herzog von York war eine Krönchen tragende Korruptionsmaschine.“
Akribisch listet Tina Brown auf, wer wann und warum einen Orden oder eine andere royale Auszeichnung bekommt und was dies für einen Stellenwert im königlichen Gefüge hat. Auch wer welche Kleider von welchem Designer trägt, ist von Bedeutung. Der Palast ist die britische Version von Hollywood, eine ausgeklügelte Mischung von Show und Business, so raffiniert zelebriert, dass man gar nicht auf den Gedanken kommt, dass das alles mit demokratischen Werten so recht eigentlich nicht vereinbar ist.
Im Palast ist eine ausgeklügelte Maschinerie am Werk, ein moderner Thinktank „aus einem Trupp cleverer und differenziert denkender Strategen. Ob es für die Royals gut oder schlecht läuft, hängt davon ab, welche Leute gerade an den entscheidenden Schaltstellen im Privatsekretariat und in der Kommunikation sitzen.“
Fazit: Tina Brown ist mit diesem Werk, das auch eine ungeheure Fleissarbeit ist, eine höchst differenzierte, gescheite und beeindruckende Sitten-und Zeitgeschichte gelungen – eine Comédie Royale vom Feinsten!
Tina Brown
Palace Papers
Die Windsors, die Macht und die Wahrheit
Droemer, München 2022