Wer Buchbesprechungen verfasst kriegt ab und an auch Besprechungsexemplare zugeschickt, auf die er selber wohl kaum gekommen wäre. Ein historischer Abenteuerroman, sei Markus Gassers Die Verschwörung der Krähen, lässt der Verlag mich wissen. Definitiv nicht mein Ding, denkt es automatisch in mir. Doch weglegen geht nicht, denn ich bin Sammler, nicht Jäger. Und so schaue ich mir das Buch nach vielen Monaten dann doch näher an.
De Foe, heisst der Held. Ist das etwa der Defoe von Robinson Crusoe, das ich vor nicht allzu langer Zeit sehr angetan gelesen habe? „Unternehmer, Journalist, Kirchengegner, Geheimagent wider Willen und Intimfeind Queen Annes“, lese ich im Klappentext. So in etwa, inklusive dichterischer Freiheiten, könnte das durchaus hinkommen. Nur eben: Ich bin nicht wirklich an literarischen Fragen interessiert. Stattdessen beginne ich zu lesen …
… und bin sofort drin, denn dieser Markus Gasser ist ein höchst begabter und überaus lustvoller Schreiber. Darüber hinaus ist er ein witziger und scharfsinniger Beobachter. Den adligen Intriganten Nottingham, von der Queen damit beauftragt, De Foe in den Kerker zu werfen, beschreibt er so: „Eigentlich lag am Grund seines Wesens eine kaum erträgliche Schwermut – er weinte nicht selten und mit Genuss, aber heimlich, nach Mitternacht – doch umso entschlossener wollte er in den Augen der Queen einer Kanone gleichen, die einen De Foe vom heiligen Boden Englands wegpusten konnte.“ Viel treffender lässt sich das englische Wesen kaum beschreiben.
Ränkespiele, machtgeile Opportunisten, das Geld, das die Welt regiert – nichts ist jemals neu unter der Sonne. Anders gesagt: Auch am historischen Abenteuerroman lässt sich aufzeigen, wie der Mensch und die Welt, die soziale, funktioniert. Neid, Missgunst, Rache, Niedertracht … you name it. Was öffentlich diskutiert wird, damals im Parlament, heute in den Medien, ist der Zirkus, der die Leute bei Laune hält. Das politisch Entscheidende geschah und geschieht hinter verschlossenen Türen.
Die Geschichte lehre, dass Völker und Regierungen nichts aus ihr lernen, meinte bekanntlich Hegel. Die Verschwörung der Krähen ist reich an Beispielen, die die verblüffende Stabilität des menschlichen Verhaltens über die Jahrhunderte zeigen. „De Foe nämlich hatte öffentlich gemacht, dass Sir Salathiel Kleinkriminelle hopsgehen liess, um wahre Verbrecher zu schützen.“ Eine auch heutzutage gängige Praxis, die anzuprangern bereits um 1700 nicht empfehlenswert war. Selten wurde der Zynismus der englischen Oberschicht witziger und vernichtender geschildert als in diesem höchst anregenden Werk.
Die Trennung von Staat und Kirche hatte De Foe gefordert, eine Ketzerei sondergleichen, die in den Augen der Staatsdiener hart geahndet werden musste. Die Königin, von Lady Marlborough gedrängt, sich diesen Ketzer persönlich anzusehen, kam zu einem anderen Eindruck als ihre Berater. Soviel zu den Beratern. An den Pranger kam De Foe trotzdem.
„Daniel de Foe sah sich zeitlebens als ein Kind der Verfolgung, der Pest und des Feuers.“ Er war ein freiheitsliebender Mensch, verstand nicht, dass sich so viele Leute in die Irre führen liessen, obwohl sie wussten, dass man sie belog. Wer würde da heutzutage nicht automatisch an die Anhänger des Egomanen aus Queens oder des notorischen englischen Lügners denken? Er heiratet die eigenständige Mary Tuffley, die sich von einem Mann nicht viel sagen liess und sich manchmal wunderte, wer ihr Daniel eigentlich war, der in Gedanken immer woanders schien.
De Foe ist eigensinnig, macht Schulden, glaubt daran, dass jeder vor dem Gesetze gleich zu sein hat, was damals wie heute als naive Verblendung bewertet wird. Seit jeher herrscht das Tyrannenprinzip: „Er bittet jeden um seine Meinung, aber weil er sich für gotterwählt hält, ist nur seine Meinung von Gewicht. Geht es nach ihm, müssen wir unbedingt Angst haben: Sobald wir uns nicht mehr fürchten, haben wir nur noch den Wunsch, selber Angst zu verbreiten und alle geschlossen zum Widerstand aufzuwiegeln.“
Geheimagent Smite hilft De Foe dem Kerker zu entkommen und … doch ich will hier nicht das Buch nacherzählen, sondern Lust auf die Lektüre dieses sehr anregenden und unterhaltsamen Romans machen, der sich durch das fantasievolle Fabulieren des Autors, dem nicht nur eine seltene Sprachbegabung eigen ist, auszeichnet, sondern auch durch so wunderbar hellsichtige Formulierungen wie diese: „Jetzt aber war Smite längst über die Stadt hinweggeflogen und in sein Land verschwunden, das Land ohne Zeit, ohne die schlaflosen, finsteren Nächte, ohne die Mühsal der Traurigkeit.“
Fazit: Ein historischer Abenteuerroman, hervorragend geschrieben, den ich wesentlich als differenzierte und luzide Darstellung der heutigen politisch-sozialen Welt wahrnehme.
Markus Gasser
Die Verschwörung der Krähen
C.H. Beck, München 2022