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Erste Schritte

Amanda Cross: Tödliches Erbe

Amanda Cross ist ein Pseudonym, hinter dem sich eine feministische Literaturwissenschaftlerin verbirgt, die von 1926 bis 2003 lebte und an der Columbia University in New York unterrichtete. Übersetzt wurde der vorliegende Kriminalroman von der diplomierten Übersetzerin Monika Blaich (geboren 1942) und dem gelernten Zeitungsredakteur Klaus Kamberger (geboren 1940), wie der Verlag wissen lässt.

Dies ist mein erstes Buch von Amanda Cross, das, wenig überraschend, in der akademischen Welt spielt, für die kennzeichnend ist, dass alles komplex, kompliziert und nie, gar nie, simpel und direkt ist. Was Kate Fansler so alles durch den Kopf geht, als sie eines Tages ihren Freund Max Reston sich ihrer Hütte in den Berkshires nähern sieht, ist jedenfalls kein Ausdruck einer Person, die sich ihrer selbst sicher ist, obwohl sie das selber von sich zu glauben scheint. Ihre witzige Selbstcharakterisierung ist reines Wunschdenken: „An diesem besonderen Tag im März dachte sie mit Stolz an die tiefen Widersprüche, die ihr Leben prägten. Sie waren es, die den Erfahrungen die Würze verliehen und der Seele die notwendige Ruhe. Natürlich bedurfte es zum Austarieren solch tiefer Widersprüche einer Geschicklichkeit, die an Akrobatik grenzte.“

Max Reston ist der Nachlassverwalter der berühmten Schriftstellerin Cecily Hutchins und möchte, dass Kate ihn begleitet, um im Haus der Verstorbenen zum Rechten zu sehen. Doch weshalb will er Kate dabei haben, wieso geht er nicht alleine hin? Wegen seines Glaubens an Geister, behauptet er. Na ja. Überaus anregend ist hingegen, was Amanda Cross aus der Art wie ein Haus möbliert ist zu schliessen imstande ist: wohnlich und dekorativ können sehr, sehr weit auseinanderliegen.

Kate und Max sind „zwei reputierliche Personen“, die sich und ihre vielfältigen Skrupel offenbar für interessant halten, auf mich jedoch ziemlich übertrieben umständlich und langweilig wirken. Auffallend ist auch, wie oft sich Kate darüber Gedanken macht, wie sie wohl von anderen wahrgenommen wird. Psychologinnen bitte nicht vortreten, ein einigermassen gesunder Menschenverstand genügt. Nur eben: Die Autorin ist Professorin und so erfährt man auch ausführlich, wie sich ihr akademisches Leben gestaltet – mässig spannend, wie ich finde – und dass natürlich auch an Elite-Universitäten geschummelt wird, was wohl nicht viele überraschen wird.

Zwischen den Felsen am Meeresufer entdeckt Kate eine Frauenleiche. Die junge Frau hatte über Dorothy Whitmore promoviert, einer Freundin von Hutchins. Als Kate von einer Freundin gebeten wird, sie in Oxford zu besuchen, packt sie die Gelegenheit am Schopf, den Dingen auf den Grund zu gehen, denn Hutchins hatte dort gelebt. Das ist gut und flüssig erzählt, auch wenn man gelegentlich über Sätze stolpert, die eigenartig sperrig wirken. „Mit einer Ironie, die typisch für die Vereinigten Staaten ist, berührte Cecily Hutchins in der Schilderung ihres täglichen Kampfs mit dem Alleinsein als Witwe und Schriftstellerin so eindeutig den Nerv ihrer Leser, dass ihr genau dieses Alleinsein und seine Schwester, die Einsamkeit, wieder in Gefahr gerieten.“ Zudem: Mit Ironie bringe ich die Vereinigten Staaten nun wirklich nicht in Verbindung.

Ausführlich wird Oxford beschrieben sowie das Schicksal der englischen Frauen beklagt. „Ich habe noch kein Land gesehen, in dem die Frauen so ein Sklavendasein führen.“ Ausführlich lässt sich die Autorin über gesellschaftlich engagierte Frauen am Anfang des 20sten Jahrhunderts aus. So erfährt man etwa, dass Krankenschwestern im Ersten Weltkrieg nicht mit den Soldaten in die Kneipe gehen durften. Auch sich mit den Offizieren treffen, war ihnen nicht erlaubt.

Amanda Cross ist eine begabte und differenzierte Beobachterin, was sich auch in vielen hellsichtigen Einsichten zeigt. „Die Ärzte nannten es eine sanfte Depression. Der Grund – wenn es denn überhaupt Gründe für Depressionen gibt – war das, was Dichter die Melancholie der erfüllten Aufgaben nennen.“ Oder: „Der Wunsch nach Einsamkeit ist begreiflich; sie hat allerdings verheerende Auswirkungen auf die Konversation: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Einzelgänger buchstäblich überlaufen, wenn man ihnen begegnet? Ihr Redestrom will nicht enden. So gross ist der Druck der vielen Ideen, die sie so lange nicht loswerden konnten.“

So recht eigentlich handelt Tödliches Erbe vor allem von den Gepflogenheiten der akademischen Welt, in der man sich unter anderem darüber ereifert, wer an welcher Universität studiert. Anders gesagt: Das Buch vermittelt die Eitelkeiten der Leute, die an sogenannten Elite-Institutionen tätig sind, auch wenn die Autorin, obwohl selbst an einer renommierten Institution tätig gewesen, eine ziemlich idealisierte Vorstellung davon zu haben scheint. „Im Kollegium und in der Verwaltung mochte es Schwachstellen geben, doch die starken Persönlichkeiten waren da, wo man sie brauchte.“

Gebildet, umständlich, interessant, unterhaltsam, doch weitestgehend spannungsfrei, so lese ich dieses Werk, das aus mir unerfindlichen Gründen als Kriminalroman bezeichnet wird. Dass sich die Lektüre lohnt liegt an den gescheiten und Horizont-erweiternden Einschätzungen wie „Während der Adoleszenz nahm die Suche nach Identität viele, grösstenteils schreckliche Formen an.“ Oder „… ein Mädchen, das wusste, was es vom Leben wollte oder zumindest in welchem Teil ihrer selbst ihre Möglichkeiten zum Arbeiten und zur Liebe steckten (beides hatte Freud mit jener seltenen Schlichtheit, zu der die Grossen finden, als die entscheidenden Dinge im Leben bezeichnet).“ Oder über die englische Klassengesellschaft. „Wie er mir sagte, hat er sich im Lehrerzimmer einmal nach einem jüngeren Kollegen erkundigt und als Antwort erhalten, dessen Vorfahren seien nicht eben kultivierte Leute gewesen.“

Fazit: Intelligente Unterhaltung mit vielfältigen Einblicken in die akademische Welt.

Amanda Cross
Tödliches Erbe
Dörlemann Verlag, Zürich 2023

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Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006), Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011), Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011), Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013), Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017), In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018), Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018), Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019), Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021), Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein: Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023).

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