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Erste Schritte

Monika Maron: Essays und Briefe

Flugasche hat mich für Monika Maron eingenommen. Ich weiss nur noch undeutlich, wovon die Geschichte gehandelt hat, doch ich erinnere mich an das ernste und schöne Gesicht der Autorin auf dem Umschlag, und daran, dass auch in einer komplexen Welt mit intelligent argumentierenden und ganz unterschiedliche Auffassungen vertretenden Akteuren, eine klare moralische Haltung möglich war. Gut möglich, dass ich mich täusche, doch wer kommt schon gegen seine Erinnerungen an?

Auch der Umschlag von Essays und Briefe zeigt eine attraktive Frau (und ja klar, natürlich beeinflusst mich das), Zigarette zwischen den Fingern, die auch zur Schau stellt, dass man als Raucherin ein stattliches Alter, sie ist 1941 geboren, erreichen kann. Warum sie mir sympathisch ist? Das hat vermutlich (ich kann nur raten, wer kennt sich schon?) mit ihrer Ausstrahlung, mit ihrer eigenwilligen Haltung zu tun.

Die Texte stammen teils von vor dem Mauerfall, teils von danach. Bei den Briefen handelt es sich um einen im ZeitMagazin veröffentlichten Briefwechsel mit Joseph von Westphalen. Für jemanden wie mich, der sich über den Osten Deutschlands noch nie gross Gedanken gemacht hat, bietet dieses Buch nützliche und notwendige Aufklärung, die sich auch der Tatsache verdankt, dass Monika Maron nicht mit Links/Rechts-Kategorien zu fassen ist.

Der erste Essay, der mich in seinen Bann zieht, ist „Wo war Leonora Carrington?“, der mich veranlasst, die kurzzeitige Geliebte von Max Ernst in Desmond Morris‘ Werk über die Surrealisten nachzuschlagen. „Der Schriftsteller als Wanderzirkus“ handelt von Lesereisen, die Monika Maron als Talkshow in der Buchhandlung beschreibt, bei der es „um voyeuristische Lüsternheit: die Vorstellung des Schriftstellers als Mensch und Raucher, als Mensch und Konfektionsgrösse“ geht. Über den am 22. Mai 1939 in New York durch die eigene Hand aus dem Leben geschiedenen Ernst Toller, schreibt sie: „Tollers politisches Ideal, der gewandelte gütige Mensch als Voraussetzung einer Revolution, war unerfüllbar. Er wusste das und hielt daran fest.“

Besonders aufschlussreich fand ich „Fettaugen auf der Brühe“, der davon handelt, wie die einstigen Karrieristen aus dem Osten jetzt auch im Westen medial florieren, und worin sich auch der schöne Satz findet: „Wie blöd sind wir eigentlich, dass wir einen Markt hergeben für Leute, von denen man sich nur eins wünschen kann: dass sie endlich, endlich den Mund halten.“

Die Themenpalette geht von Heinrich Heine über Peter Zadek zu den Girlies, von Christos Reichstagsverhüllung über die zwei Berichte an die Stasi aus dem Jahre 1976 zur Frage, warum sie schreibe. „Ich weiss nicht, ob andere Schriftsteller wirklich wissen, warum sie schreiben. Ich jedenfalls weiss es nicht (…) Vielleicht bin ich nur Schriftstellerin geworden, weil es mir sehr früh als eine trostreiche Beschäftigung erschien, Wörter auf einen Zettel zu schreiben.“

Überaus aufschlussreich fand ich „Rollenwechsel. Über einen Text und seine Kritiker“, worin sich Monika Maron mit ihren Kritikern auseinandersetzt. Genauer: Mit der Reaktion des Feuilletons auf Pawels Briefe. Dabei charakterisiert sie Rezensenten als professionelle Leser, „die, weil sie über geprüfte Kriterien zur Beurteilung von Literatur verfügen oder zu verfügen glauben, stellvertretend für eine potenzielle Leserschaft lesen und das Ergebnis ihrer Prüfung in hundertfacher Auflage verbreiten.“ Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: So ein Rezensent bin ich nicht und möchte ich nicht sein. Ich gebe hier ausschliesslich meine willkürlich ausgewählten Eindrücke kund. Weder frage ich mich, was die Autorin mir sagen will, noch rätsle ich über den Stellenwert des Werkes in der Zeit- bzw. der Literaturgeschichte; manche Sätze oder Bilder bleiben mir, andere nicht – mir genügt, dies zur Kenntnis zu nehmen.

Dass und wie sich Monika Maron gegen ihre Kritiker wehrt, gefällt mir. Ausführlich befasst sie sich mit der Kritikerin Corina Caduff, die offenbar (so lese ich sie) genau das tut, was Fotokritiker fast immer mit Fotos tun (nach zwanzig Jahren des Schreibens über Fotografie, ist mir das zur Gewissheit geworden), und im Talmud so geschildert wird: Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind, wir sehen die Dinge wie wir sind. Meines Erachtens gilt das nicht nur für Fotografien, es gilt auch für Bücher, ja, es gilt so recht eigentlich für alles.

Wie kommt es, dass wir sind, wer wir sind? Die Hirnforschung lehrt uns, dass unser Spielraum weit weniger gross ist, als wir gemeinhin annehmen, und so „kämpfen wir verzweifelt um das Recht auf Verantwortung für unser Tun und Lassen und für unsere Verdienste und somit auch für unsere Schuld, um unsere selbst gestaltete Biografie.“ Der Überlebenstrieb bzw. das Ego hat uns dahin gebracht, wo wir heute sind – im Guten wie im Schlechten. Was wir daraus machen, darauf kommt es an, kriegte Monika Maron, damals Mitte dreissig, von einer Freundin gesagt.

Natürlich habe ich meine Lieblinge unter diesen Essays. Die „Laudatio auf Marie-Luise Scherer“ gehört dazu. Einmal, weil Scherers Texte bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen und mich überzeugt haben, dass Reportage Kunst sein kann (man lese: Der Akkordeonspieler), dann aber auch wegen: „Marie-Luise Scherer fragt nicht warum, sie fragt nach dem Was. Was ist passiert, und wem ist es passiert.“ Man kann von ihr das Hinschauen lernen. „Mit ihrem seltenen Blick, der nie auf das Erwünschte, sondern immer auf das Vorzufindende zielt, der nie nach Beweisen für das schon Gewusste sucht, sondern nach dem, was noch nicht gewusst wird und gewusst werden kann …“. Es lohnt sich, bei diesen luziden Beobachtungen zu verweilen.

Auch Monika Maron hat – wenig überraschend – diesen „seltenen Blick“, der sich an dem orientiert, was ist. Besonders schön, auch weil so absurd-witzig, ist „Was ist eigentlich los?“, worin sie unter anderem daran erinnert, dass „die Grundbegriffe der Demokratie keine Glaubensartikel, keine Gebote (sind), sondern Gesetz, zu dem man sich nicht bekennen, aber das man befolgen muss, wenn man hier lebt.“

Gestaunt habe ich, dass offenbar in keiner Partei „die Bürgerrechtler so unsichtbar geworden sind wie bei den Grünen.“ Gewundert habe ich mich allerdings, dass Frau Maron sich darüber wunderte, „dass Rechtsanwälte, von denen es man nicht erwartet hätte“ bei den gestürzten ostdeutschen Machthabern vorstellig wurden, um sie vor der westdeutschen Siegerjustiz zu retten. War die Rechtsanwendung (insbesondere mit prominenten Klienten), jemals etwas anderes als ein Geschäftsmodell, bei dem man seine Eitelkeit ausleben konnte?

Es gibt ganz Vieles, das ich sehr ähnlich sehe wie Monika Maron, der der Islam Angst macht („Die Wahrheit ist, dass ich vor dem Islam wirklich Angst habe.“), und es gibt Anderes, das ich ganz, ganz anders sehe (sie wählt die FDP und würde Sebastian Kurz wählen, wenn dies möglich wäre – das war 2017, als sie dies schrieb). Doch vor allem: Diese Essays und Briefe sind Ausdruck eigenständigen Denkens, mit dem sich auseinanderzusetzen hilfreich ist – weil es anregt, auch selber so genau hinzuschauen wie es Monika Maron tut.

Monika Maron
Essays und Briefe
Hoffmann und Campe, Hamburg 2022

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Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006), Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011), Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011), Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013), Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017), In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018), Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018), Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019), Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021), Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein: Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023).

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