FBI-Agent John Lourdes, ein in Texas ansässiger mexikanische Staatsbürger, wird vom amerikanischen Aussenministerium nach Konstantinopel geschickt, um Informationen zu sammeln, die der Aussenpolitik der Vereinigten Staaten dienlich sein könnten. Insbesondere über die Lage der Armenier soll er sich kundig machen. Kurz nach seiner Ankunft wird er Zeuge eines Mordes an einem armenischen Schriftsteller.
Geschildert wird das in erfreulich unprätentiöser Sprache, inklusive gelegentlicher Sprachblüten („in ihren Stimmen glühte das Feuer“), auch vermag der Autor (es handelt sich um ein Pseudonym) das türkische Ambiente sehr gut zu vermitteln. Ich habe selber einmal für kurze Zeit in Istanbul, das damals Konstantinopel hiess, gearbeitet und spürte die Stadt und ihren Rhythmus sofort wieder.
Gärten der Trauer spielt zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Das Osmanische Reich in Gestalt der Jungtürken verübt Völkermord an den Armeniern. Das sehr informative Nachwort des Herausgebers Martin Compart erläutert den weiteren politischen Zusammenhang, bei dem es, wie so recht eigentlich immer, um sogenannte wirtschaftliche Interessen (sprich: die Ölfelder von Baku) geht. Konkreter bzw. weniger neutral und sachlich formuliert: Der Roman zeigt, dass der Mensch ein weitestgehend recht unerfreuliches Wesen ist, von Eigennutz und Gier angetrieben.
Besonders spannend fand ich die Geschichte nicht, erfreulich und witzig sind hingegen einige der Dialoge. „Ich würde Ihr Land gerne einmal kennenlernen“, sagte der Dragoman.“ „Wieso?“ „Die Kinofilme. Dort sieht man die Städte und ihre Menschen. Die Gebräuche. Die Hüte. Ich liebe die Hüte.“ Darüber hinaus ist dies ein Roman, der einen oft nachdenklich stimmt. Klar doch, ich rede von mir. „Der Priester schaute zu, wie das Wasser von seinen Händen tropfte. ‚Ich bin ein Versager – als Priester‘, sagte er. ‚In meiner ursprünglichen Berufung. Wenn wir doch wählen dürften, bei welchen Taten Gott uns zusieht. Was für Männer wir dereinst werden. Welche Himmel uns offenstehen. Vielleicht brauchen wir verlorene Paradiese als Entschuldigung.’“
John Lourdes erlebt die Dinge als ein von Aussen-Kommender. Und diesem fällt auf, was den Menschen vor Ort selten bewusst ist. „Obwohl er die Bedeutung dessen, was er am Kai mitangesehen hatte, nicht vollständig erfassen und bewerten konnte, ahnte John Lourdes, dass die brutale Unmenschlichkeit dieser Geschehnisse von einer ganz neuen Schändlichkeit zeugte, wie sie die Welt bislang nicht kannte. Und er spürte, dass man fortan auf dergleichen gefasst sein musste.“
Es ist diese Sicht von aussen („Auch hier galt offenbar, was John Lourdes aus dem amerikanischen Westen vertraut war: je ärmlicher eine Stadt, desto prächtiger das Gotteshaus.“), die diesen Roman wesentlich auszeichnet sowie die verblüffenden Parallelen zum Heute („von den brutalen wirtschaftlichen Interessen bis hin zu den Taktiken und Strategien des (Staats-)Terrorismus“), auf die Herausgeber Martin Compart hinweist.
Aufschlussreich ist auch dies: „Bis heute hat der türkische Staat diesen Völkermord nicht als Verbrechen anerkannt. Stattdessen agiert er offen, aber gebremst aggressiv gegenüber den Kurden, als würde er dieses Volk ebenfalls ‚irgendwie‘ auslöschen wollen. Dies ist bei aller Tragik umso ironischer, als die Kurden eine höchst unrühmliche Rolle als Handlanger des Osmanischen Reiches bei den Armenier-Massakern spielten.“
Boston Teran ist ein Pseudonym, das zu Spekulationen über die Identität des Autors geführt hat, Verbirgt sich dahinter vielleicht eine Frau oder etwa eine Gruppe aus Männern und Frauen? Man lese die Ausführungen des Herausgebers am Schluss des Buches, die sich durch gut informiertes Rätseln auszeichnen.
Boston Teran
Gärten der Trauer
Roman
Elsinor Verlag, Coesfeld 2024
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