Jan Stocklassa: Stieg Larssons Erbe

Keine Krimis habe ich mehr verschlungen als Stieg Larssons-Trilogie. Eine der wesentlichen Faktoren war die Figur der Lisbeth Salander, dieser einsamen Kämpferin, die für mich so eine Art weiblicher James Bond ist. Mit anderen Worten: Ich gehe Jan Stocklassas Buch über Larssons (und seine eigenen) Recherchen zum Mordfall Olof Palme höchst positiv gestimmt an – und werde nicht enttäuscht.

Doch wie kommt der Mann eigentlich dazu, sich im Jahre 2013 mit einem ungelösten Mord aus dem Jahre 1986 zu beschäftigen? Eigentlich wollte er ja ein Buch darüber schreiben, „wie manche Orte Menschen dazu bewegen konnten, Verbrechen zu begehen. Wie der Zufall es wollte, traf ich einen Verdächtigen der Palme-Ermittlungen, der mir neue interessante Impulse gab, und ich verstrickte mich so sehr in den Nachforschungen, dass ich mein eigentliches Buchprojekt aufgab und mich stattdessen voll und ganz auf den Palme-Mord konzentrierte.“

Am Abend des 28. Februar 1986 wurde der damalige schwedische Ministerpräsident Olof Palme nach einem Kinobesuch ermordet. Der Täter bleibt bis heute unauffindbar. Als Mörder gilt Christer Pettersson, von dem jedoch Krister Petersson, neuer Staatsanwalt und Voruntersuchungsleiter der Palme-Ermittlungen, heute sagt, er sei es nicht gewesen.

Die Ausgangslage: Larsson war der Ansicht gewesen, der südafrikanische Geheimdienst unter Mithilfe schwedischer Rechtsextremisten habe hinter Palmes Ermordung gesteckt, nach Stocklassas Überzeugung war es ein Amateur gewesen.

Olof Palme war ein überaus schillernder Politiker und hatte sich nicht zuletzt Feinde auf der rechten Seite des politischen Spektrums gemacht. Stieg Larsson hatte sein Leben dem Kampf gegen den Rechtsextremismus verschrieben. Es lag nahe, dass er den Mörder bei diesen vermutete.

Das all überall übliche Kompetenzgerangel bestimmte den Anfang der Untersuchung. Und – wie ebenso weltweit üblich – erwiesen sich die angeblichen Profis als weit weniger professionell als sie zu sein glaubten. Die kurdische PKK geriet ins Visier der Ermittlungsbehörden. Der berühmte Thriller-Autor Jan Guillou schoss sich auf den Chefermittler ein und bezeichnete ihn als „einen selbstsüchtigen, verschworenen Büffel“, was dieser „für eine treffende Projektion Guillous hielt.“ Es sind nicht zuletzt solch schöne Details, die die Lektüre lohnen.

So wie das Studium der Akten Jan Stocklassa in eine vergangene Welt eintauchen liessen, so geht es auch dem Leser dieser Geschichte. Er erfährt anschaulich wie Stieg Larsson von seinem roten Grossvater geprägt wurde und ihm wird deutlich, dass viele ehemalige Nazis einfach die Fassade neu anstrichen, doch innerlich dieselben blieben.

Auch Larsson wird von der Polizei als Auskunftsperson zum Rechtsextremismus vernommen. Und wie immer im Leben interessieren sich die Verantwortlichen nicht dafür, was er weiss, nur ein unterer Kader zeigt Interesse. Doch dann will eine Zeitung aus Malmö Larsson, der als hervorragender Rechercheur gilt, als Autor gewinnen; dieser dient der Zeitung zwar zu, möchte jedoch anonym bleiben, weil er, wenn sein Name bekannt wird, nicht mehr recherchieren kann. Unter anderem findet er heraus, dass die Polizei zwei Warnungen erhalten hatte, die vor einem Mord warnten, doch die Staatshüter wurden nicht hellhörig. Andererseits: Die Aufgabe von Behörden ist es nicht, Dingen auf den den Grund zugehen, sondern stabile Verhältnisse zu garantieren.

„Aber das ist es, was man Recherche nennt. Man weiss nicht so recht, wonach man sucht oder wo man ansetzen soll, aber das ist ja genau das, was es so spannend macht. Plötzlich findet man ein Dokument, das zu einem weiteren führt. Wohin die Reise schlussendlich geht, das weiss man nicht“, sagte eine ehemalige Mitarbeiterin von Larsson einmal.

Jan Stocklassa ist auch selber ein exzellenter Rechercheur, der nicht nur in Schweden, Nordzypern, wo viele kriminelle Unterschlupf gefunden haben, und in Südafrika Kontaktpersonen aufsucht, sondern auch aufzeigt, dass sich auf Behördenapparate zu verlassen, ein Fehler ist. Es sind so recht eigentlich immer beherzte Einzelne, die der Wahrheit letztlich zum Durchbruch verhelfen.

Fazit: Ein spannend zu lesendes „True Crime“-Buch mit aufschlussreichen Einsichten in die Arbeit der Geheimdienste und den internationalen Waffenhandels!

Jan Stocklassa
Stieg Larssons Erbe
Europa Verlag, Berlin 2018

Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006), Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011), Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011), Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013), Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017), In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018), Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018), Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019), Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021), Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein: Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023).

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