Christine Dwyer Hickey: Schmales Land

„Ein leuchtender Sommer in Cape Cod: Die Geschichte einer unerwarteten Freundschaft zwischen einem Waisenjungen und dem Künstlerpaar Josephine und Edward Hopper“, informiert der Verlag. Ich erhoffe mir hauptsächlich Aufschluss über die Hoppers – und werde nicht enttäuscht.

Die Aitchs (wie die Hoppers aus mir unerfindlichen Gründen in diesem Roman heissen) wohnen am Strand, an dem auch immer wieder Besucher auftauchen, von denen Mrs Aitch, sie ist selber auch Künstlerin, glaubt, sie würden ihren berühmten Mann stören, weshalb sie sie verscheucht. Als ihr Mann davon erfährt, verbietet er sich ihr Vorgehen; er besteht darauf, für sich selber zu entscheiden. Dass das Verhältnis der beiden mehr als nur problematisch ist, ist offensichtlich. Andererseits: Das ständige Hin und Her, das Streiten, die Schwierigkeiten beflügeln auch.

Ob er stolz auf seine Bilder sei?, will sie von ihm wissen. Nicht wirklich, antwortet er, ihm gehe es um den Prozess, weniger um das Resultat. Sie will das nicht gelten lassen. „Wenn sie so reagiert, weiss er wieder, dass er sie liebt.“ Kurz darauf beklagt sie sich, er behandle sie wie Luft. „Wenn sie so redet, weiss er nicht mehr, wie oder warum er sie je hat lieben können.“

Christine Dwyer Hickey hat mit diesem Roman auch das Porträt einer Ehe (und vermutlich ganz vieler Ehen) verfasst, in der zumeist ganz unterschiedliche Welten aufeinandertreffen, die so recht eigentlich am besten so nebeneinander her leben wie im Falle der Aitchs. „Seine Frau macht gleichzeitig Augen und Mund auf. Er hofft, dass heute zu den Ausnahmen gehört. Manchmal fängt sie aber auch schon zu reden an, bevor sie die Augen überhaupt aufmacht.“ Er selber bedarf der morgendlichen Stille. „Wenn er am Morgen ungestört lesen kann, umgibt ihn eine grosse Ruhe, eine Zeitlosigkeit.“

Ihr Mann befindet sich in einer Schaffenskrise. „Es wird anscheinend mit jedem Jahr etwas schwerer, etwas weniger der Mühe wert. Sisyphusarbeit, und der Felsblock mit jedem Mal grösser.“ Wie der Autorin die Schilderung seiner mit dem Alter zunehmenden Antriebslosigkeit gelingt, ist höchst beeindruckend, Was ihm einst alles bedeutete, berührt ihn nun nicht mehr. „Er gleicht dem Weiberhelden, den kein Rock mehr reizt.“

Schmales Land spielt im Jahr 1950, fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als der deutsche Waisenjunge Michael in Amerika ankommt, wo er das malende Künstlerpaar Aitch kennenlernt, das der Zehnjährige fortan fast jeden Tag besuchen kommt. Der Mann hat so seine liebe Mühe damit, dass sich der Junge mit seiner Frau wohler fühlt als mit ihm. „Der Junge findet etwas an mir, und du, du bist für ihn bloss ein weiterer nicht vertrauenswürdiger Erwachsener. Eifersucht, Eifersucht, Eifersucht.“

Schmales Land ist auch ein Buch übers Malen, über den kreativen Schaffensprozess, über die Suche nach den Bildern im Kopf. Zu den für mich stärksten Szenen gehört ein Traum von Mrs Aitch, in dem ihr ein Bild erscheint, das sie „von der keimenden Idee bis zur endgültigen Komposition“ hervorgebracht hat.

Was mir Schmales Land wertvoll macht sind vor allem die kontemplativen Momente. „Zum Lesen macht er stets schon mal den oberen Teil der Halbtür auf, damit die Morgenluft hereinkam. Er lehnt sich in seinem Sessel zurück, legt die Füsse auf die Chaiselongue und stellt die Kaffeekanne in Reichweite. Dann schlägt er sein Buch auf. Und wird zum Beobachter des Treibens anderer. Aus ebendem Grund geht er so gern ins Kino.“ Eine bessere Einladung zum Kopfkino, das dieser Roman bietet, ist eigentlich nicht vorstellbar.

Christine Dwyer Hickey
Schmales Land
Unionsverlag, Zürich 2023

Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006), Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011), Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011), Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013), Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017), In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018), Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018), Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019), Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021), Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein: Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023).

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