Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses

Natürlich gehe ich diese Liebesgeschichten mit Vorlieben und Abneigungen an. Bertolt Brecht mochte ich noch nie, Florian Illies charakterisiert ihn ganz in meinem Sinn. „Wer so um sich selbst kreist, dem droht eigentlich ein Schleudertrauma. Doch bei Brecht bedroht es nur all die anderen, die ihn beim beständigen Kreiseln zu stören wagen.“ Meine Verachtung für die, welche diesen Egomanen möglich machen, ist allerdings noch grösser.

Natürlich (jedenfalls vermute ich es) ist das nicht so gemeint, doch bei mir lösen ausschliesslich triebgetriebene Kotzbrocken wie Brecht, Picasso, Erich Mühsam und andere nicht nur Abscheu, sondern auch Aggressionen aus – sie repräsentieren für mich, was auf dieser Welt falsch läuft: Dass Erfolg und Begabung mehr zählen als Anstand. Doch dann gibt es eben auch die süssen Vladimir und Vera Nabokov.

Als einer, dem Bildung von früh auf viel bedeutete und der fast ein Leben lang von den klingenden Namen in Liebe in Zeiten des Hasses nicht nur beeindruckt, sondern regelrecht eingeschüchtert gewesen bin, ist dieses Werk nicht zuletzt deswegen bedeutsam, weil es die von mir Verehrten in einem menschlichen Licht zeigt, das sie mir auch nicht viel anders erfahren lässt als mich selber und meine Bekannten.

Autor Florian Illies, ein sehr begabter Schreiber und Meister des gehobenen Geplauders, stelle ich mir als gern gesehenen Gast bei Anlässen mit kulturellem Anstrich vor, bei denen man sich am wohlformulierten Klatsch dieses talentierten Causeurs ergötzt. Und seine Beschreibungen haben es ja in der Tat in sich, so bezeichnet er den 55jährigen Hugo von Hofmannsthal als „gutgekleidetes Fossil, ein Aristokrat des Geistes, ein unerträglicher Snob und gelegentlicher Libretto-Lieferant für Richard Strauss.“

Ein ungemein buntes Panorama von vielfältigen Egos treten in diesen amüsanten, zum Schmunzeln einladenden Klatschgeschichten auf; Charaktere, die vom Autor häufig wunderbar süffisant eingeordnet werden. So notiert er etwa über Gustaf Gründgens: „Immer öfter spielt er die Rollen der seelenlosen Intriganten mit eleganter Verworfenheit. Das kann er besonders gut.“

Von Erich Kästner und Kurt Tucholsky weiss er, dass beide die Frauen nicht lieben, sondern verwerten, von Salvador Dalí, dass er „panische Angst vor dem weiblichen Geschlecht“ hat, von Le Corbusier und Josephine Baker, dass sie gemeinsam duschten.

Florian Illies ist jedoch viel mehr als ein kenntnisreicher und unterhaltsamer Plauderer, er vermittelt auch Zeitgeschichte oder vielmehr das damals herrschende Zeitgefühl der Kulturelite. „Die Frauen brauchen die Männer nicht mehr. Das ist die für die Männer verstörende Botschaft der späten zwanziger Jahre.“ Frauen, zumindest in Berlin und anderen Grossstädten, können für sich selber aufkommen. Und auch für Sex brauchen sie die Männer nicht mehr, „denn Erfüllung finden sie auch bei ihren Freundinnen (oder sich selbst).“ Und er konstatiert: „Was die Menschen der zwanziger Jahre dringend gebraucht hätten, war Liebe (oder wenigstens Therapeuten). Was sie bekamen, waren Aufputschmittel.“

Liebe in Zeiten des Hasses klärt auch auf, besonders Unwissende wie mich, der ich nicht wusste, dass Henry Millers Frau June eine Geliebte hatte oder Alma Mahler Werfel ihren jüdischen Mann regelmässig mit antijüdischen Wutattacken traktierte. Diese Chronik macht auch deutlich, dass es so etwas wie ’normal‘ für Künstler definitiv nicht gibt. Doch gelegentlich stockt meine Lektüre auch, glaube ich mich in einer Werbebroschüre, etwa als von Scott und Zelda Fitzgeralds Besuch in einer Villa in Antibes berichtet wird. „Die Cocktailpartys unter den schweren Blättern der Palmen und auf sattem, kurzgeschorenen Gras, all die schönen braun gebrannten und weiss gekleideten Menschen aus New York und Paris, der kühle Champagner, der leise Jazz, unten das glitzernde Mittelmeer und die untergehende Sonne wärmend im Rücken – aber diesmal hilft es nicht mehr. Das Leben ist kein Sundowner.“ Dazu kommt, dass der Autor von Alkoholismus keine Ahnung hat, was sich in Aussagen wie „Er (Scott Fitzgerald) trinkt, um seine Verkommenheit zu spüren …“ oder „Ein neuer Grund, sich gross zu trinken“ zeigt, denn Alkoholiker brauchen keinen Grund um zu trinken, sie trinken, weil sie Alkoholiker sind.

Konrad Adenauer verzockt sich, Alfred Döblin versucht ein Leben lang, nicht in die Fussstapfen seines Vaters zu treten, Ernst Jünger und sein Freund Carl Schmitt erwarten von ihren Ehefrauen Verständnis für ihre sexuellen Eskapaden. Und von Leni Riefenstahl sagt ihr Regisseur und Verlobter Harry R. Sokal: „Ihre Partner waren stets die Besten in ihrem Fach, ihre Nymphomanie hatte elitäre Züge.“ Doch genug – ich will doch hier nicht das ganze Buch nacherzählen.

Dieses so wunderbar leichthändig geschilderte Nebeneinander von allem und jedem, teils tragisch, teils banal, lässt einen die Welt unaufgeregter und gelassener sehen, denn diese Chronik eines Gefühls macht nicht zuletzt deutlich, dass Gefühle stärker sind als Einsichten, Überzeugungen und Verstand. Kurzum: Wir alle, ungeachtet unserer Talente und Fähigkeiten, sind ihnen ausgeliefert.

Fazit: Informativ, amüsant, witzig und lehrreich.

Florian Illies
Liebe in Zeiten des Hasses
Chronik eines Gefühls 1929-1939
Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, Mai 2023

Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006), Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011), Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011), Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013), Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017), In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018), Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018), Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019), Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021), Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein: Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023).

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