Petra Reski: All’italiana!

Der Untertitel Wie ich versuchte, Italienerin zu werden lässt vermuten, dass Petra Reskis Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt war, obwohl sie sich jede erdenkliche Mühe gibt, und es irgendwie dann eben doch geklappt hat. „Es war mein Land, von Anfang an. Es ist ein fehlerhaftes Land, es sündigt, es ist perfide und manchmal sogar teuflisch. Dennoch liebe ich es. Das mag daran liegen, dass ich immer meine lebenslustige ostpreussische Familie gesucht habe, vermischt mit Teilen der melancholischen Schlesier. Und am Ende habe ich sie in Italien gefunden.“

Petra Reski hat Romanistik studiert und ist, wie ihr früh verstorbener Vater einst prophezeite, Auslandskorrespondentin geworden. Sie will verstehen, braucht Erklärungen, erwartet sich diese auch von der Politik, die in Italien allerdings von der Mafia häufig nicht zu unterscheiden ist. Ihre sizilianischen Schilderungen sind ungemein berührend, vielfältig informativ und aufwühlend. Und ihre Ausführungen zu Berlusconi machen klar, dass der Florida-Golfer keineswegs so einzigartig ist, wie dieser selbst und auch viele Journalisten offenbar glauben.

So abstrus einem Aussenstehenden die italienische Politik auch vorkommen mag, das italienische Wahlvolk verhält sich auch nicht viel anders als, sagen wir, das amerikanische, das auch in schöner Regelmässigkeit Gauner und Deppen, denen es immer nur um sich selber (und ihre Klientel) geht, als Regierung wählt. Die Italiener wissen, was sie tun. Warum sie es tun, ist egal, und auch wenn sie es wüssten, würde es keinen Unterschied machen. Das ist überall so.

Petra Reskis Mann ist Venezianer (und nur im Ausland Italiener) und erträgt es nur schwer von Festlandbewohnern regiert zu werden. Wenn seine Frau sich wieder einmal aufregt und fassungslos fragt, wie das denn um Himmels Willen nur möglich sei, “dass sich ganz Italien diesem Berlusconi in die Arme wirft, obwohl über ihn und seine Mafiamachenschaften alles bekannt ist“, antwortet er mit „Du bist hier in Italien!“ „Ja und? Was soll das denn heissen?, frage ich. Und er sagt: Niente. Das sagt er immer, wenn jemand zu begriffsstutzig ist, um die offensichtlichsten Zusammenhänge zu verstehe.“ Schön gesagt, doch ich vermute, dass Italiener Italien genauso wenig begreifen wie die Nicht-Italiener, weil man Italien und die Italiener schlicht nicht verstehen kann. Und so recht bedacht, gilt das für so ziemlich alle anderen Völker und Länder auch. Nur ist es anderswo oft weniger laut, lustig und so offensichtlich chaotisch.

Der grösste Teil dieses sehr gut geschriebenen Buches handelt von der Politik, ist aufklärend und geht sehr in die Details. Wer, wie ich, wenig Lust auf die eitlen Selbstdarsteller hat, die von der Macht und dem Rampenlicht nicht genug kriegen können, kommt allerdings nicht zu kurz, denn die Entdeckerfreude der Autorin erstreckt sich weit über die Politik hinaus. So erfährt man unter anderem auch höchst Aufschlussreiches darüber wie Journalismus funktioniert, bornierter Kollegenneid inklusive, oder das italienische Fernsehen … doch lesen Sie selbst, es lohnt sich!

Besonders erhellend sind Petra Reskis Ausführungen zur Sprache. „Das passato remoto macht mich fertig, der Konjunktiv erst recht, ich sage nur: congiuntivo trapassato. Im Italienischen gibt es Zeiten, die kann man sich als Deutsche gar nicht vorstellen, geschweige denn konjugieren.“ Die italienische Politik komme ihr ähnlich knifflig vor wie die diversen Vergangenheitsformen des Italienischen, konstatiert sie. Sehr schön, denn der Zusammenhang von Sprache und Mentalität wird oft übersehen.

„Komisches Land, dieses Italien, denke ich. Voller Widersprüche: Man spricht offen über schreckliche Skandale, und Zustände, die anderswo eine Revolution ausgelöst hätten, werden hier belacht. Man regt sich darüber auf, dass die Sozialisten klauen, und lacht, als ein Kabarettist aus dem Fernsehen eliminiert wird. Man lebt in einer der schönsten Landschaften der Welt und legt sich an einen verpesteten Strand. Und lacht auch darüber.“ Wer angesichts einer solchen Realität glaubt, Erziehung könne Wesentliches bewirken, irrt.

Petra Reskis Beobachtungen sind nicht nur unterhaltsam, sondern auch lehrreich. Und laden häufig zum Schmunzeln ein. „Ich habe mal beobachtet, wie Engländer in der Vaporettostation an der Rialtobrücke eine Schlange gebildet haben. Die Italiener haben das Prinzip gar nicht verstanden. Sie sind einfach an ihnen vorbeigegangen.“

Über ein anderes Land und deren Bewohner nachzudenken, führt auch unweigerlich zu Vergleichen mit dem, was einen geprägt hat. Mit anderen Worten: In der Fremde lernt man, vorausgesetzt, man ist bereit dazu, auch immer viel über sich selber. Und manchmal entdeckt man im vermeintlich Neuen, was schon immer in einem angelegt gewesen ist. All’Italiana! ist nicht zuletzt erfreulich selbst-reflektiv.

Dieses Buch beschreibt eine Faszination, ein Rätsel und das unweigerliche Sich-Immer-Mal-Wieder-An-Den-Kopf-Fassen, weil das doch Alles nicht wirklich sein kann. In diesem überaus gelungenen Mix vielfältiger Absurditäten und bewegender Momente stösst man auch auf ganz wunderbare Sätze, die Wesentliches auf den Punkt bringen. „Zu einer Zeit, als Venedig noch halbwegs eine Stadt ist und kein Freizeitpark …“. Im Spiegel liest sie: „Südlich von Florenz beginnt für die strengen nordischen Herrenmenschen schon Afrika, Rom liegt für sie fast im Urwald.“ Bessere Aufklärung geht eigentlich nicht.

All’Italiana! schliesst mit einem Kapitel über „Lukrez und das Ende des Obskurantismus“. Es ist so recht eigentlich mein Lieblingskapitel. Zum Einen, weil ich Lukrez‘ De rerum natura für einen der erhellendsten Texte überhaupt halte (eine grundlegend andere Sicht der Welt als die gemeinhin akzeptierten und uns benebelnden). Zum Andern dieser Ausführungen wegen, die von einer Lebensneugier zeugen, die nicht nur ihrem Mann, sondern auch Petra Reski selber eigen sind. „Der Venezianer kann eine Lupine nicht von einem Löwenzahn unterscheiden, er kennt nur Marmorsorten und weiss, wie man Tintenfische mit Licht und Kescher fängt, aber er hört Ivano aufmerksam zu, denn es gibt kaum etwas, was ihm mehr Achtung abringt als Menschen, die ihr Handwerk beherrschen.“

Fazit: Grandios! Engagierter, unterhaltsamer und treffender kann man Italien kaum schildern.

Petra Reski
All’italiana!
Wie ich versuchte, Italienerin zu werden
Droemer, München 2024

Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006); Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011); Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011); Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013); Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017); In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018); Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018); Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019); Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021); Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein. Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023); Wie ich die Fotografie entdeckte - und was sie mich gelehrt hat (neobooks 2024); Das Jetzt ist nicht zu fassen. Notizen von unterwegs (neobooks 2024).

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