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Erste Schritte

Claudia Bausewein / Rainer Simader: 99 Fragen an den Tod

Prof. Dr. Claudia Bausewein aus München wird in der Presseinformation des Verlags als Deutschlands führende Palliativmedizinerin, Rainer Simader als Wiener Hospiz-Experte und Physiotherapeut vorgestellt. Ich will es gleich vorweg schicken: Mir gehen diese Superlative auf den Geist und mit Experten, deren Expertise schlicht auf Zuschreibung beruht, habe ich so meine liebe Mühe. „Die Experten dieser Welt kommen mir nur wie Experten vor, solange sie über Dinge reden, von denen ich nichts verstehe.“ (Young-Ha Kim: Aufzeichnungen eines Serienmörders).

Doch zum Buch: Es ist klar strukturiert und in acht Teile gegliedert. Der Blickwinkel der Sterbenden wird genauso berücksichtigt wie derjenige der Angehörigen, Grundsätzliches wird ebenso angesprochen wie Praktisches. Zudem gibt es nützliche Adressen sowie ein Glossar mit medizinischen Begriffen. Viel umfassender geht kaum.

So ein Buch zu schreiben ist sehr schwierig, weil es auf die meisten Fragen, die wir gerne klar und eindeutig beantwortet hätten, keine klare und eindeutige Antwort gibt, sondern nur die gemeinhin übliche „Es kommt drauf an.“ Claudia Bausewein und Rainer Simader, denen die Unart eigen ist, gewisse Fragen als berechtigte zu bezeichnen (Ich weiss, es ist eine Floskel. Trotzdem: Was wäre, im Zusammenhang mit Sterben und Tod, eigentlich eine unberechtigte Frage?), sehen es so: Bei den einen ist es so, bei anderen wieder anders. Und individuell eben sehr verschieden.

Entscheidend ist deswegen, dass die Grundhaltung stimmt. „Einem Menschen sagen zu müssen, dass er stirbt, ist schwierig, aber wir finden es sehr wichtig, wahrhaftig und ehrlich zu sein.“ Mir ist dieser Ansatz sympathisch. Überzeugend ist er jedoch erst dann, wenn man auch wahrhaftig und ehrlich mit sich selber umgeht. Und das tun beide Autoren. So antwortet etwa Claudia Bausewein auf die Frage: Was kommt nach dem Tod? „Zunächst bin ich überzeugt davon, dass das Sterben im eigenen Erleben noch einmal ganz anders sein wird als das, was ich jetzt weiss oder durch die Begleitung vieler Sterbender erlebt habe. Ob es für mich leichter wird, bezweifle ich sehr. Ich hoffe, auch getragen zu werden durch meinen Glauben, dass das Sterben ein Übergang in eine andere Daseinsform ist – ja, dass Gottesbegegnung stattfindet.“ Sie sagt noch mehr dazu, das mich sehr anspricht, doch ich will ja hier nicht das Buch wiedergeben, sondern darauf neugierig machen.

Dass die Autoren die Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod für hilfreich erachten, ergibt sich so recht eigentlich schon aus ihrer Berufswahl. Zudem: „Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit lässt uns manche Entscheidungen anders treffen und manche Prioritäten genauer definieren.“ So sehr ich zustimme, mir ist das etwas zu allgemein.

Bereichernd fand ich hingegen, immer wieder auf für mich Verblüffendes hingewiesen zu werden. „Das beste Mittel gegen Erschöpfung ist körperliche Aktivität“, denn „Inaktivität, Isolation, ständig kreisende Gedanken verstärken das Gefühl von Müdigkeit.“

Einige der Fragen sind meines Erachtens nicht nur überflüssig, sondern derart offensichtlich unbeantwortbar, dass sie sich so recht eigentlich erübrigt hätten, nur wäre man dann eben nicht auf die avisierten 99 Fragen an den Tod gekommen. „Sind Hoffnungen und Wünsche am Lebensende noch sinnvoll?“ gehört zu diesen Fragen, denn Hoffnungen und Wünsche haben es so an sich, dass sie kommen (und gehen), wenn und wann sie wollen, ob sie nun Sinn machen (wer will das schon entscheiden?) oder nicht.

Gefragt habe ich mich auch, ob eine Frage wie „Darf ich mit sterbenden Menschen lachen?“ wirklich eine Frage ist. Auch „Was sage ich, wenn ich keine Antwort weiss?“ scheint mir eine Frage, die nur jemand stellen kann, dem der gesunde Menschenverstand nicht einmal ansatzweise geläufig ist.

Doch zurück zum Positiven. Auf die Fragen, die sich konkret beantworten lassen, etwa: „Wie lange darf ein verstorbener Mensch zu Hause bleiben, wenn er dort verstorben ist?“ erhält man konkrete Antworten. In der Schweiz sind 48 Stunden üblich, in Österreich 36, in Deutschland je nach Bundesland zwischen 24 und 36. Auf Fragen, auf die keine klare Antwort möglich ist wie „Warten Sterbende auf Angehörige/Freunde um sich zu verabschieden, bevor sie sterben?“, reagieren die Autoren mit einem vorsichtigen Sich-Herantasten, das sich auf einschlägige Erfahrungen gründet – und über solche verfügen die beiden Autoren zuhauf.

„Mit diesem Buch wollen wir Ihnen Mut machen. Mut, sich mit der Realität zu beschäftigen und Ihre Sichtweise auf das Leben zu verändern“, schreiben Claudia Bausewein und Rainer Simader Nichts, das hilfreicher wäre, um sich dem Leben zu stellen, als dieser Mut!

Claudia Bausewein / Rainer Simader
99 Fragen an den Tod
Leitfaden für ein gutes Lebensende
Droemer Verlag, München 2020

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Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006), Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011), Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011), Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013), Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017), In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018), Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018), Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019), Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021), Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein: Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023).

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