Garry Disher: Funkloch

Zwei Auftragskiller, Lovelock und Pym, töten einen verwahrlosten Mann, der eine Drogenküche betrieb, und anschliessend noch einen Spaziergänger, dem sie aufgefallen waren. „Lovelock schnappte sich noch ein Stück Pizza und sagte nachdenklich: ‚Hast du dich schon mal gefragt, was wir da eigentlich machen?‘ Himmel, dachte Pym; er hasste es, wenn Lovelock philosophisch wurde. ‚Nein.’“ Soviel zur Sensibilität von Auftragskillern.

Dann geraten die beiden in ein Buschfeuer, das durch eine Kippe, die Lovelock achtlos weggeworfen hatte, entfacht worden war – und kommen darin um. Inspector Hal Challis, der mit seiner Kollegin Ellen ein Verhältnis hat, muss sich darum, und um noch einiges mehr, kümmern. Das ist routiniert und sehr menschlich erzählt, und auch der Humor kommt nicht zu kurz. „Die grössten Schattenseiten für den jeweils Diensthabenden am Empfang waren nach John Tankards Ansicht Langeweile und der Kontakt mit der Öffentlichkeit.“

Funkloch spielt im ländlichen Australien, auf einer Peninsula voller Weideflächen, wo für die Polizeiarbeit die Regel gilt, „nicht dort zu leben, wo die ‚Kundschaft‘ lebte“, und wo die Polizistin Pam Murphy mit zwei Brüdern geschlagen ist, die beide ihren Doktor gemacht hatten und deswegen glaubten, von absolut Allem etwas zu verstehen. „Vielleicht glaubten sie ja, alles zu wissen, weil sie die meiste Zeit mit Zwanzigjährigen verbrachte, die überhaupt nichts wussten.“ Pam ging es ganz anders. „Hochgestimmt, bedrückt und verwirrt. So fühlte sie sich. Ziellos.“

Man lernt in diesem Buch viel über Polizeiarbeit, anhand derer Garry Disher überzeugend aufzeigt, wie es in der heutigen Welt zu und her geht. So berichtet er von Exhibitionisten und anderen übergriffigen Verhalten, bei denen meist Frauen zu Opfern werden. Und er macht nachvollziehbar, „dass die meisten Opfer erstarrten, vor allem in der Öffentlichkeit. Sie wollten nicht sterben oder verletzt werden. Manche empfanden Scham. Alle wurden von lähmendem Unglauben und Schock übermannt …“l

Funkloch ist unter anderem eine spannende Geschichte darüber, was Drogen anrichten – nicht nur bei den Süchtigen, sondern in Familien und deren Umfeld, ja, der Gesellschaft. Ice heisst die Droge, von der hier die Rede, mir selber ist der Begriff Crystal Meth vertrauter, und macht schnell hochgradig süchtig. Darüber hinaus führt die Abhängigkeit zu Gewalt, Verbrechen, Mord und Totschlag. Senior Sargent Serena Coolidge von der Ice-Einheit der Major Drug Investigation Division mit Sitz in Melbourne erläutert: „In den letzten drei Jahren ist die Zahl der Verurteilungen bei Verbrechen unter Metamphetamineinfluss um 165 Prozent gestiegen. Bei Verhaftungen wegen Drogen fallen in den meisten Gegenden 90 Prozent auf Ice. Fast die Hälfte aller Fälle von häuslicher Gewalt gehen auf Ice zurück. Todesfälle, bei denen Ice eine Rolle spielt – ob durch Unfälle oder Vorsatz – , haben sich verdreifacht.“

Der Mensch zeichnet sich wesentlich dadurch aus, dass er die Realität nicht wahrhaben will. Abgesehen von denen, die sich berufshalber damit auseinandersetzen müssen – unterbesetzt, unterfinanziert und selten dafür gewürdigt – , verdrängen wir lieber, dass hinter ganz vielen Konflikten – von Kneipenschlägereien, zu Hooliganismus und Verkehrsrowdytum – häufig Drogen stecken.

So recht eigentlich schreibt Garry Disher Gesellschaftsromane, wobei ihm der Kriminalroman, im Gegensatz zu literarischen Genres, die vorzugsweise von dem Schöngeistigen Verpflichteten bedient werden, die Möglichkeit gibt, unverblümt Meinungen zum besten zu geben, die nicht daran gemessen werden, ob sie examens-, sondern lebenstauglich sind. So kanzelt er etwa die Massenmedien ab, die die Empörung einiger Menschen bewirtschaften, scheint aber gleichzeitig der Justiz zu trauen, was ich zwar etwas eigenartig finde, doch der medialen Hysterie-Propaganda nichtsdestotrotz vorziehe.

Garry Disher ist nicht nur ein begabter Geschichtenerzähler, er ist auch ein genauer Beobachter menschlicher Eigenarten und weiss, welche Rolle etwa die Eitelkeit in unserem Leben spielt (und ganz besonders im Leben der gesellschaftlich Arrivierten). So charakterisiert er zum Beispiel ein Anwesen am Strand als „ein grosses, zum Ruhm der Architekten erbautes Haus.“ Doch auch unsere Tendenz, uns die Dinge schön zu reden, nimmt er aufs Korn: „In der schlechten alten Zeit …“.

Funkloch handelt von ganz unterschiedlichen Geschichten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Im Zentrum stehen das Drogengeschäft sowie die Gewalt gegenüber Frauen. Und dann ist da noch die sechsjährige Clover, die Tochter von Drogensüchtigen, die entführt wird … Das alles ist spannend, berührend und mit viel Empathie geschildert. Und überaus unterhaltsam. „Fünf Minuten später stellte er fest, dass er über Staubsauger dasselbe dachte wie über Rasentrimmer: Er bezweifelte, dass die Konstrukteure die Geräte jemals selbst benutzt hatten.“

Wer wissen will, wie es auf der Welt zugeht, sollte Garry Dishers Kriminalromane lesen.

Garry Disher
Funkloch
Kriminalroman
Unionsverlag, Zürich 2023

Veröffentlicht von hansdurrer

Geboren 1953 in Grabs/Schweiz. Buchveröffentlichungen: Ways of Perception: On Visual and Intercultural Communication (White Lotus Press 2006), Inszenierte Wahrheiten. Essays über Fotografie und Medien (Edition Rüegger 2011), Framing the World: Photography, Propaganda and the Media (Alondra Press 2011), Warum rennen hier alle so? Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur (Edition Rüegger 2013), Wie geht das eigentlich, das Leben? Anregungen zur Selbst- und Welterkundung (neobooks 2017), In Valparaíso und anderswo. Momentaufnahmen (neobooks 2018), Herolds Rache. Thriller (Fehnland Verlag 2018), Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn. Ansichten und Einsichten (neobooks 2019), Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (neobooks 2021), Die Flucht vor dem Augenblick (neobooks 2022). Die Welt will betrogen sein: Über Gehorsam, Gier und Selbstvermarktung (neobooks 2023).

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